1.
Die wichtigsten Fakten Der
Stand der Forschung zeigt ohne jeden wissenschaftlich 3)
begründeten Zweifel:
- Für den Verbrauch
an Heizenergie eines Wohngebäudes in Mitteleuropa sind
in erster Linie der Wärmeschutz der Außenhülle (U-Werte)
und der Luftaustausch verantwortlich.
- Die Einstrahlung
auf Außenwandoberflächen ist ein im Durchschnitt der Heizperiode
normalerweise vernachlässigbarer Effekt mit einem nur
geringen Energiegewinn, der zudem noch verringert wird durch die
Wärmeabstrahlung in den kalten Himmel. Allerdings kann die passive
Nutzung von Solarenergie durch Maßnahmen wie eine selektive Beschichtung
oder eine lichtdurchlässige (transluzente) Dämmung erheblich
erhöht werden.
- Schließlich ist der
Einfluss der Wärmespeicherfähigkeit der Außenwände extrem
gering (weniger als 0,5%).
- Einen durchaus nennenswerten
Einfluss auf die Temperaturstabilität und damit auf die Behaglichkeit
im Sommer hat die den Innenräumen zugewandte Wärmekapazität
der innenliegenden Bauteilschichten - wichtig sind dabei vor allem
die Innenwände und Zwischendecken. Dieser Einfluss wird auf
der Seite "der Einfluss
der inneren Wärmekapazität" behandelt.
Diese Tatsachen werden
in der Langfassung belegt und genauer erklärt. Wesentliche Ergebnisse
sind:
- Bei den Außenbauteilen
kommt es auf die Dämmung
gegen Wärmeverluste an. Dämmung ist immer wirksam – ob als Innen-
oder Außendämmung. Wichtig ist jedoch die Vermeidung von konstruktiven
Wärmebrücken
und die Luftdichtheit, damit die
Dämmung auch wirklich
funktionieren kann.
- Auf die Wärmespeicherfähigkeit
der Außenbauteile kommt es nicht an.
- Und nur in geringem
Maß kommt es auf den Absorptionsgrad der Außenoberfläche
für Sonnenenergie und auf den Emissionsgrad der Oberfläche für
die langwellige Wärmeabstrahlung an.
2.
Begriffsbestimmung
Wärmespeicherung
Als Wärmespeicherfähigkeit
oder Wärmekapazität (dies ist der physikalische Fachbegriff)
wird das Vermögen eines Materials bezeichnet, Wärmemengen im Temperaturgefälle
aufzunehmen. Wir nutzen den Speichereffekt z.B. schon seit langer
Zeit bei Wärmflaschen, Warmwasserspeichern oder Speicherheizgeräten.
Durch Wärmespeicherung kann grundsätzlich keine zusätzliche Energie
gewonnen werden – jede aus einem Speicher entnommene Wärme muss
diesem ursprünglich einmal zugeführt worden sein, z.B. beim Erhitzen
des Warmwassers für die Wärmflasche.
3.
Selbstentladung
Eine ungedämmte
(also nicht unter der gut dämmenden Bettdecke liegende) Wärmflasche
gibt ihren Wärmeinhalt innerhalb von kurzer Zeit ab und ist
danach eher eine Kühlflasche. Erst eine gute Wärmedämmung
macht Wärmespeicherung wirklich wirksam dies gilt in
verstärktem Maße auch für das Warmhalten von Gebäuden.
Hier ist die durch Speicherung zu überbrückende Zeit nämlich
weit länger (mehr als ¼ Jahr) als bei der Wärmflasche
(8 Stunden). Vergleiche dazu auch die erste Grafik in der linken
Spalte.
4.
Wärmespeichern und Wärmedämmen gehören zusammen
Beides wird von der
Grundgleichung des Wärmetransportes beschrieben. Diese ist
in der Physik seit 1822 anerkannt: Damals hat Jean-Baptiste-Joseph
de Fourier die Wärmeleitungsgleichung
aufgestellt. Diese Gleichung beschreibt das Wechselspiel von Wärmespeicherung
und Wärmeleitung in ortsfesten Materialien. Heute ist es möglich,
diese Differentialgleichung mit Hilfe von numerischen Programmen
z.B. auf verschiedene Wandaufbauten anzuwenden und so eine genaue
Darstellung der sich zeitlich ändernden Temperaturverläufe
zu bekommen. Das können Programme wie HEAT2 oder HEAT3 sogar
in zwei bzw. drei Dimensionen. Die so berechneten Werte stimmen
vorzüglich mit Messungen überein. Das gilt auch für
zeitlich variable Prozesse.
Auch die Simulationsprogramme
(z.B. "Dynbil", "Derob",
"Transys" u.a.), mit denen die Energieströme in Bauteilen
und Gebäuden numerisch berechnet werden, verwenden jeweils
die vollständige Fouriersche Wärmeleitungsgleichung
sie berücksichtigen also Wärmespeichereffekte
genauso wie die Wärmeleitung. Mit solchen numerischen Berechnungen
wurden drei wichtige Erkenntnisse erzielt:
- Für übliche
Bauteile in Gebäuden stellt sich heraus, dass der Wärmespeichereffekt
sich bereits über den Zeitraum weniger Tage weitgehend
herausmittelt (siehe die Erklärung im nächsten
Abschnitt).
- Bedeutender sind Wärmeströme
über "Umwege" in den drei Raumdimensionen: Diese
sogenannten Wärmebrückeneffekte
können hohe zusätzliche Wärmeverluste zur Folge
haben. Sie müssen daher sorgfältig vermieden werden,
wenn die Wärmedämmung vollständig wirksam sein
soll.
- Durch die Simulation
gesamter Gebäude mit der vollen Fourierschen Gleichung wurde
das Passivhaus als besonders energiesparende
Lösung für thermische Behaglichkeit im Winter wie im
Sommer entwickelt. [Feist
1993].
5.
Stationäre Näherung
Betrachtet man lange
Zeiträume, so mittelt sich der Energiezufluss und -abfluss
zur Wärmekapazität aus der Energiebilanz heraus, weil
ebensoviel Wärme eingespeichert werden muss, wie schließlich
wieder verfügbar wird, wenn die Temperaturen am Anfang und
am Ende gleich sind. Wie lang sind "lange Zeiträume"?
Das hängt vom betrachteten System ab. Für ein Blatt Papier
ist bereits eine Stunde "lang", für eine 160 mm starke
Betondecke sind drei Tage "lang", für eine mehrere
Meter dicke Erdreichschicht sind jedoch erst 6 Jahre "lang".
Für eine nennenswerte
Speicherung zwischen den Jahreszeiten ist ein noch so
massives Bauwerk ungeeignet: Bemühungen um Jahresspeicher für
Solaranlagen zeigen den hierfür erforderlichen Aufwand an Masse
(meist viele Tonnen Wasser) und vor allem die für die Vermeidung
von Selbstentladung erforderlichen enormen Dämmlagen (50 cm
und mehr hochwertiger Dämmstoff auch in diesem Fall
wird Speichern erst durch Dämmen wirksam. Eine durchaus Erfolg
versprechende Methode kann darin bestehen, das Erdreich untern dem
Haus zur Speicherung zu verwenden).
Bei üblichen Bauteilen
von Gebäudehüllen kann gut mit der stationären
Näherung gerechnet werden, wenn es um den Wärmeverlust
im Verlauf der gesamten Heizperiode geht. Dann sind nämlich
die Temperaturen am Anfang und am Ende ungefähr gleich und
die Netto-Speicherbilanz ist Null. Diese Näherung führt
auf die allseits bekannten Wärmedurchgangskoeffizienten
oder U-Werte (früher: k-Werte). Die Berechnungen unter
Verwendung der U-Werte erweisen sich als für Gebäude unterschiedlichster
Bauart hinreichend genau. Z.B. verwendet das vereinfachte Verfahren
des Passivhaus Projektierungs-Paketes (PHPP)
diese Näherung - und die Ergebnisse stehen in guter Übereinstimmung
mit Messergebnissen (vgl. die Seite zum Thema "Energiebilanz").
6.
Theorie und Praxis (Messung)
Wie gut Theorie und Praxis
bei der Wärmeleitung übereinstimmen, das zeigen Temperaturverläufe,
die im Rahmen des Messprogramms beim Passivhaus
Kranichstein aufgezeichnet wurden. Die beiden letzten Grafiken
in der linken Spalte zeigen die Messwerte (farbige Symbole). Die
Ergebnisse der Berechnung mit dem Simulationsmodell sind als schwarze
Linien dargestellt. Die Übereinstimmung zwischen Messung und
Theorie ist so gut, dass Unterschiede erst bei hoher Auflösung
erkennbar werden (Lupe); die Abweichungen liegen maximal bei +/- 0,2 °C.
7.
Dagegen: Die gesamte innen liegende Wärmekapazität hat
durchaus einen Einfluss
Was versteht man unter
der (effektiven) innen liegenden Wärmekapazität? Das ist
die gesamte Wärmekapazität, die über die Innenoberflächen
aller an die Raumluft grenzenden Bauteile an den Raum angeschlossen
ist. Sie liegt innerhalb der wärmedämmenden Hülle,
vergleichbar dem Medium in der gedämmten Thermoskanne. Diese
Wärmekapazität wirkt dämpfend auf Temperaturänderungen
im Raum, z.B. solchen, die auf Solareinstrahlung durch die Fenster
zurückzuführen ist. In der Kernheizzeit ist das ebenfalls
eher nachrangig - aber im Sommer,
wenn es darum geht, vor allem die Tagesspitzen der Temperaturen
zu dämpfen und in der Nacht wieder eine Kühlmöglichkeit
besteht, ist eine innen liegende Wärmekapazität vorteilhaft.
Und auch im Sommer ist eine gute Wärmedämmung, die in
diesem Fall das Eindringen von Hitze in die Räume reduziert,
hilfreich.
8.
Fazit und Beispiele
Auf die Wärmedämmung
kommt es an - nicht auf die Wärmekapazität. Das ist nicht
nur bei Gebäuden so, sondern bei vielen Situationen des täglichen
Lebens:
- Wollen wir Tee oder
Kaffee heiß halten, so verwenden wir eine Mütze für
die Kanne oder eine Thermoskanne - die Alternative zur Dämmung
liegt nicht in der Speicherung, sondern in einem ständigen
Energieaufwand zur Nachheizung (Teelicht oder Warmhalteplatte).
- Bei kaltem Wetter
ziehen wir wärmedämmende Pullover, Strümpfe, Mützen,
... an.
- Die Schlafstätte
schützen wir im kalten Schlafzimmer durch eine ("warme")
Daunendecke. Natürlich ist die Decke selbst nicht "warm",
sie ist nur sehr gut wärmedämmend, so dass der menschliche
Körper weniger Wärme verliert.
- Die Landwirte werden
im Herbst regelmäßig vor dem Eintreten von "Bodenfrost"
gewarnt. Durch die Wärmeabstrahlung in den Nachthimmel tritt
nämlich "Frost" immer zuerst am Boden auf (trotz
Wärmespeicherung und Sonnenstrahlung!). Mit Stroh (Wärmedämmung!)
oder Folien (lichtdurchlässige Wärmedämmung) kann
der Landwirt die Pflanzen schützen.
Der beste Beleg für
die Funktion einer sehr guten Wärmedämmung sind die Passivhäuser
selbst. Ein Passivhaus bleibt im Herbst sehr lange warm, weil es
durch die gute Wärmedämmung und die Wärmerückgewinnung
nur sehr wenig Wärme verliert. Auch wenn schließlich
im Kernwinter doch nachgeheizt werden muss, ist die dann erforderliche
Heizleistung extrem gering. Dass dies tatsächlich so funktioniert,
wie es nach den Gesetzen der Bauphysik zu erwarten ist, das zeigen
Tausende gebaute Beispiele. Gute Wärmedämmung von Gebäuden
hat sich ganz hervorragend
bewährt. Jeder kann sich davon selbst überzeugen -
z.B. auf der Exkursion während der Passivhaustagung
oder am Tag
des Passivhauses. Am Tag des Passivhauses öffnen Bewohner
die Türen ihrer Passivhäuser, um Besuchern die Erfahrung
"Passivhaus" aus eigener Wahrnehmung zu ermöglichen.
Wissenschaftliche Zusammenhänge
kann jeder selbst überprüfen - es bedarf dazu nicht der
Autorität irgendwelcher Gurus. Das ist übrigens der wichtigste
Anspruch, der an seriöse wissenschaftliche Arbeit gestellt
wird: Sie muss überprüfbar sein. Auch die Prüfung
muss sich an diesen Anspruch halten - Randbedingungen müssen
dokumentiert, Messungen mit der erforderlichen Genauigkeit durchgeführt
werden (mit einem herkömmlichen Zimmerthermometer kann man
Temperaturen bestenfalls auf 1 bis 2 °C genau messen). Physikalische
Zusammenhänge muss man nicht glauben - man kann sie selbst
überprüfen.
Lernen
durch Arbeit und Handeln
Das hier behandelte Thema
ist übrigens sehr gut für den Projektunterricht an Schulen
geeignet. Sowohl in der Mittelstufe als auch in der Oberstufe lassen
sich daran ein grundlegendes physikalisches Verständnis, die
Unterschiede zwischen extensiven Größen (wie Wärmeinhalt
/ Innere Energie) und intensiven Größen (Temperatur)
sowie der 1. Hauptsatz der Thermodynamik (Energiesatz) erarbeiten.
Kleine Modelle (Kasten aus Dämmstoff für ein Gefäß
mit warmem Wasser) sind schnell hergestellt und erlauben den Schülern
eine selbständige Überprüfung der Zusammenhänge
- dabei besteht ein enger Bezug zur täglichen Erfahrungswelt.
Denn, Folgendes sagte Albert Einstein zum Thema Lernen
und Schule: "Persönlichkeiten aber formen sich nicht durch
das, was sie hören und sagen, sondern durch Arbeit und Handeln."
Literatur:
[Feist 1987] Ist
Wärmespeichern wichtiger als Wärmedämmen?
1. Auflage, IWU 1987; 2. Auflage, Passivhaus Institut, 2000
(Link
zur Bestellung der Langfassung)
[Feist 1993] Passivhäuser in Mitteleuropa;
Dissertation, Universität Kassel, 1993
[AkkP 5] Energiebilanz
und Temperaturverhalten; Protokollband Nr. 5 des Arbeitskreises
kostengünstige Passivhäuser, 1. Auflage, Passivhaus Institut,
Darmstadt 1997 (Link
zur Publikationsliste, PDF,
200kB)
(zuletzt bearbeitet:
30.11.2007 (Links ergänzt) Dr. Wolfgang Feist
© Passivhaus Institut; unveränderte Wiedergabe unter
Angabe der Quelle gestattet) |