Fenster
im Passivhaus: natürlich öffenbar
Alle Passivhäuser,
die vom Passivhaus Institut zertifiziert wurden, haben öffenbare
Fenster. Nach Möglichkeit hat jeder Raum mindestens ein solches
Fenster, optimal ist ein Dreh/Kipp-Beschlag.
Warum
öffenbare Fenster?
Es gibt viele Gründe,
aus denen Bewohner eines Hauses gern ein Fenster öffnen möchten:
Jemandem etwas zurufen, die Vögel singen hören, kräftig
Durchlüften,... Diese Wünsche der Bewohner sind vorrangig,
auch dann, wenn sie zu einem erhöhten Energieverbrauch führen
sollten (das ist aber in der Regel in einem Passivhaus gar nicht
der Fall, siehe weiter unten).
Passivhäuser im
deutschsprachigen Raum benötigen im Sommer keine
aktive Kühlung (keine Klimaanlage). Sie bleiben dennoch in
Hitzeperioden schön kühl - allerdings setzt das voraus,
dass ein hoher Luftwechsel in der Nacht möglich ist. Und das
geht am einfachsten mit geöffneten Fenstern. Ein Gebäude
ohne in der Nacht öffenbare Fenster braucht entweder eine sehr
starke maschinelle Lüftung (2 bis 5 facher Luftwechsel) oder
eine Klimaanlage - und das gilt nicht nur für Passivhäuser.
Fast
das ganze Jahr wie Anfang Juni
Sie kennen die Verhältnisse
in einem traditionellen Haus Anfang Juni? Bei typischem Wetter in
Mitteleuropa muss in einem traditionellen Haus im Juni nicht mehr
geheizt werden. Zwar liegt die durchschnittliche Außentemperatur
nur um 17°C, aber innere Wärmequellen und die Sonneneinstrahlung
durch die Fenster heizen das Haus innen auf komfortable Temperaturen
auf. Es kann sein, dass es manchmal sogar eher etwas zu warm wird.
Dann machen die Nutzer die Fenster auf. Sollte es ihnen allerdings
zu kalt werden, dann machen sie die Fenster wieder zu. Anfang Juni
sind in Mitteleuropa fast alle Häuser Passivhäuser.
In einem richtigen Passivhaus
ist der Jahresabschnitt, in dem das Haus ganz ohne Heizung funktioniert,
auf einen viel längeren Zeitraum ausgedehnt. Je nach Standort,
Nutzung und Besonnung beginnt dieser Zeitraum im März oder
April und endet im Oktober oder November. In diesem Zeitraum wird
man in einem Passivhaus die Fenster so nutzen, wie in traditionellen
Häusern im Juni allgemein üblich:
"Ich mache die
Fenster auf, wann immer ich das Bedürfnis dazu habe. Sollte
es mir dann zu kühl werden, mache ich das Fenster wieder zu.
Es wird dann schnell (innerhalb von 2 Minuten) auch ohne Heizung
wieder warm."
So die Aussage einer
langjährigen Passivhaus-Bewohnerin.
Und
wie ist das im Winter?
Im Passivhaus fällt
die Zeit, in der ein Heizbetrieb stattfindet, ziemlich genau mit
dem "Winter" nach dem Kalender zusammen: Die Heizung wird
ab Mitte Dezember gebraucht und geht Mitte März außer
Betrieb (je nach regionalem Klima, Nutzung und Baudetails kann sich
der Zeitpunkt um plusminus einen Monat verschieben). In der übrigen
Zeit ist die Heizung aus und die Fensternutzung wie im
letzten Abschnitt beschrieben.
Wenn bei Heizbetrieb
die Fenster geöffnet werden, dann entsteht natürlich ein
zusätzlicher Wärmeverlust. Darin unterscheiden sich Passivhäuser
und traditionelle Häuser ebenfalls nicht.
Zahlreiche in den letzten
Jahren publizierte Untersuchungen zeigen, dass in der Kernzeit des
Winters die Bewohner Fenster sehr viel seltener öffnen als
zu anderen Zeiten (vgl. linke Spalte). Das ist gut verständlich,
denn ein geöffnetes Fenster bei Frost oder Sturm oder während
Niederschlägen verbessert die Behaglichkeit nicht. Das "normale"
winterliche Fensteröffnungsverhalten sorgt nicht einmal für
einen ausreichenden Luftwechsel, um eine einigermaßen akzeptable
Qualität der Innenluft zu gewährleisten. Das zeigen einerseits
die häufigen Feuchteschäden in traditionellen Häusern
und andererseits Messungen der Innenraumluftbelastungen - sowie
darüber hinaus auch direkte Messungen des Luftwechsels. Deshalb
gibt es auch die Broschüren der Wohnungswirtschaft, die versuchen,
intensiv über die Notwendigkeit einer verstärkten regelmäßigen
Fensterlüftung aufzuklären. Für normale Nutzer ist
das lästig und oft sogar unmöglich: Eigentlich muss man
in einem traditionellen Haus alle 3 bis 4 Stunden die Fenster für
3 bis 8 Minuten vollständig öffnen, um die alte Luft komplett
auszutauschen, am Tag und in der Nacht. In der Praxis wird im Winter
viel weniger gelüftet - und wenn da nicht die ständigen
Mahnungen wären, mehr zu lüften, noch weniger. (Mindesten
alle 6 Stunden müsste Stoßgelüftet werden - vgl.
Ergänzungen zur Wohnungslüftung;
weil das in der Praxis überwiegend nicht funktioniert, ist
die Lüftung so eine wichtige Aufgabe).
Im Passivhaus ist das
Lüftungsproblem gelöst: Eine ausreichende Versorgung mit
frischer Luft ist immer gewährleistet. Die im Haus erzeugte
Feuchtigkeit und die Innenraumluftbelastungen werden garantiert
abgeführt - ob die Bewohner nun Fenster öffnen oder nicht.
Die Fenster öffnen, das geschieht jetzt nur noch, wenn die
Nutzer dies aus irgendeinem Grund wirklich wollen.
Und
dennoch kein überhöhter Wärmeverlust?
Natürlich erhöht
ein zusätzliches Fensteröffnen im Winter die Wärmeverluste
und bei Heizbetrieb auch den Wärmebedarf eines Hauses - beim
Passivhaus genau wie bei einem traditionellen Haus.
Überraschend für
die Wissenschaft war, dass dieser Zusatzverlust in 95% aller Nutzungsfälle
vernachlässigbar ist und in allen Fällen nicht so
hoch ist, dass die Funktion des Passivhauses in Frage gestellt wird.
Der Energieverbrauch wird etwas höher - in der Regel um 1 bis
2 kWh/(m²a) und in extremen Fällen um bis zu 17 kWh/(m²a)
- er bleibt aber immer extrem niedrig im Vergleich zu den in anderen
Häusern üblichen Verbrauchswerten. Die Verbrauchsunterschiede,
die durch verschiedene Temperaturwünsche in der Wohnung entstehen,
sind sehr viel größer.
Es ist somit immer sinnvoll,
ein Passivhaus zu bauen - und dazu muss man seine Gewohnheiten nicht
ändern. Allerdings kann man sich das Fensterlüften im
Winter auch sparen - es bleibt totzdem behaglich und es gibt immer
frische Luft im Haus.
Kaum
zu glauben...
Das klingt so einfach,
es entspricht aber nicht den Vorstellungen der meisten Personen,
die sie von einem Energiesparhaus und gar einem "extremen"
Energiesparhaus, wie dem Passivhaus, haben.
Das ist verständlich
und berechtigt, denn Skepsis gegenüber dem Neuen und Unbekannten
schützt vor Enttäuschungen.
Im Fall der Fensteröffnung
im Passivhaus liegen aber schon jahrelange Erfahrungen vieler Nutzer
vor. Hier finden Sie die Aussage eines Passivhaus-Bewohners, der
es in seinen Worten schildert:
"'Ob wir die
Fenster im Winter öffnen möchten und wie lange, bleibt
unsere Entscheidung. Auf das Konzept des Passivhauses hat das einen
vernachlässigbaren Einfluss. Zumal bei Minusgraden will niemand
- auch in herkömmlichen Häusern nicht - Fenster und Türen
länger als ein paar Minuten offenstehen lassen. Es ist in der
Regel aber nicht notwendig, die Fenster zu öffnen, da die Lüftungsanlage
(nicht zu verwechseln mit einer Klimaanlage) ständig für
eine ausreichende Menge Frischluft sorgt. Das Raumklima hat eine
höhere Qualität als ein durchschnittlicher Neubau, bei
dem das eigentlich im Winter notwendige mehrfache Durchlüften
meist entfällt. Schimmelprobleme durch interne Feuchtigkeit
können in einem Passivhaus nicht auftreten. Im Sommer ist ein
Passivhaus ein normales Haus, bei dem man zur Kühlung nachts
die Fenster öffnet. Das Haus, in dem ich wohne, wurde mit 13,6
kWh pro Quadratmeter und Jahr geplant und erreicht nach Messung
12,9 kWh: Passivhaus 'Wohnen
& Arbeiten' mit realem Benutzerverhalten ohne Einschränkungen
des Verhaltens.''
Da das Passivhaus aus
der Phase der Forschung und Entwicklung längst heraus ist -
es ist seit Jahrzehnten gelebte Praxis - gibt es einen einfachen
Weg, herauszufinden, wie es sich konkret verhält: Passivhäuser
kann man besichtigen und mit den Bewohnern sprechen. Am
Tag des Passivhauses können Interessierte die Vorzüge durch
eigene Erfahrungen kennenlernen: Bauherren und Eigentümern von Passivhäusern
ermöglichen Ihnen einen Besuch. Das Passivhaus ist ein Konzept für
jedermann. Jeder Bauherr, Architekt, Bauträger oder Investor kann
und darf ein Passivhaus bauen.
Das Passivhaus ist kein
Markenname, sondern ein Baukonzept, das allen offen steht.
Hier finden Sie Beispiele: Passivhaus-Beispiele.
Dennoch kann jeder die Qualität seines Passivhauses von unabhängiger
Seite prüfen lassen. Hierzu gibt es Angebote von verschiedenen
Qualitätssicherungsbüros.
Auch in einem Altbau
lassen sich Passivhauskomponenten einsetzen, siehe: Passivhaus-Altbau.
Einen Überblick
zu den Informationen
finden Sie mit diesen Link: Verzeichnis-Passivhaus.
Hier
gibt es mehr Informationen zum Passivhauskonzept.
Hier
gibt es Informationen zur Wirtschaftlichkeit.
Literatur
[Ebel 2001] W. Ebel,
M. Großklos, T. Loga, K. Müller, B. Steinmüller:
Wohnen in Passiv- und Niedrigenergiehäusern, IWU,
1. Auflage 2001 (vgl. auch den folgenden im Internet frei verfügbaren
Auszug: Passivhaussiedlung
Wiesbaden (
pdf)
[Ebel, Kah 2003] W.
Ebel, O. Kah: Tracergasmessungen: Auswirkungen von Fensteröffnung
bei kontrollierter Lüftung; im Tagungsband der 7. Passivhaustagung
Hamburg, Passivhaus Institut, 1. Auflage 2003
(aktualisiert 16.09.2006 Autor: Dr. Wolfgang Feist
© Passivhaus Institut; unveränderte Wiedergabe unter
Angabe der Quelle gestattet. Diese Seiten werden ständig aktualisiert
und erweitert.)
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