Eine
oft vertretene Position ist: "Niedrigenergiestandard ist doch
gut genug - wir erreichen doch damit bereits deutliche Einsparungen
gegenüber dem Altbau und somit hohe Umweltentlastungen."
So schmerzhaft es sein mag, aber gerade diese Aussage ist eines
der größten Hindernisse auf dem Weg der nachhaltigen
Entwicklung. Das hat zwei Gründe, die durch eine Betrachtung
der Zeitreihen des gesamten Heizenergieverbrauchs (vgl. Bild 1)
deutlich werden.
Bewusst wurde hier ein
Szenario mit der maximal sinnvollen Umsetzungsrate von Maßnahmen
zur Verbesserung der Energieeffizienz im Gebäudebestand gewählt.
Diese maximale Umsetzungsrate ergibt sich aus den Erneuerungszyklen
der Bauteile: Jede Maßnahme am Gebäude ist ökonomisch
nur dann sinnvoll ausführbar, wenn sie im natürlichen
Zyklus der Bauteilerneuerung erfolgt.
Weil in letzter Zeit
gerade dieser Aussage widersprochen wird, und leider gerade oft
von Politikern, die es ernst meinen mit dem Ziel der Nachhaltigkeit,
hierzu eine Erklärung aus Sicht eines Haubesitzers an einem
Beispiel: Es ist weder heute noch irgendwann in der Zukunft sinnvoll,
ein intaktes Fenster nur aus Gründen der Energieeinsparung
durch ein neues Fenster zu ersetzen; dazu sind die Basiskosten des
Fensterersatzes einfach zu hoch (über 270 €/m²; die
Kosten für eine eingesparte Kilowattstunde würden dann
bei über 25 €Ct/kWh liegen). Die Bauteile werden also
dann verbessert, wenn sie ohnehin ersetzt oder renoviert werden
- mitbedenken muss man auch, dass die Maßnahmen Krach und
Dreck in der Wohnung bewirken.
Schon der letzte Abschnitt
zeigt (aus einzelwirtschaftlicher Sicht), dass die Strategie, die
Sanierungsrate anstelle der Sanierungstiefe zu erhöhen, im
Zeitverlauf nicht aufgeht. Versucht man nämlich durch fördertechnische
Anreize eigentlich noch nicht anstehende Erneuerungsinvestitionen
vorzuziehen, so ist dies nur durch deutlich höhere Fördermittel
je Maßnahme zu erreichen, weil nun nicht nur die Zusatzkosten
für bessere Energieeffizienz, sondern auch die Kosten der ohnehin
erforderlichen Ersatz- oder Erneuerungsmaßnahme gefördert
werden müssen. Würden so "in der Breite" auf
die Schnelle tatsächlich viele Maßnahmen ausgelöst,
so ist der Effekt makroökonomisch nur kurzfristig und er wirkt
sich im Zeitverlauf letztlich negativ aus: Der Energieverbrauch
stagniert dann (nach Ablauf der "beschleunigten Phase")
letztlich auf höherem Niveau weil das Effizienzpotential bei
jeder Einzelmaßnahme nicht voll ausgeschöpft wurde (derzeit
ist es nämlich noch keinesfalls selbstverständliche Praxis,
dass generell nur Dreischeibenverglasungen und keine Dämmdicken
unter 18 cm eingesetzt werden). Auch beschäftigungspolitisch
wirken sich derart kurzfristig angelegte Förderprogramme schädlich
aus, weil nach dem Investitionsschub die Auftragsbücher der
einschlägigen Baubranche plötzlich leer sind und es für
lange Zeit bleiben - bis zum nächsten Erneuerungszyklus oder
der nächsten Beschleunigungs-Subvention. Das ist keine theoretische
Überlegung, sondern eine historisch belegte bittere Erfahrung
aus dem sog. "4,35 Mrd Förderprogramm" der deutschen
Bundesregierung, welches eine kurzfristige Welle des vorgezogenen
Austausches von Fenstern zu solchen mit Zweischeiben-Isolierverglasungen
ausgelöst hat (zum kurzfristigen Vergnügen der einschlägigen
Branche), dann aber den Fenstererneuerungsmarkt über viele
Jahrzehnte zum Erliegen brachte. Die Industrie hatte eine etwa dreifache
Überkapazität geschaffen, die sie nun nicht entfernt auslasten
konnte. Energiewirtschaftlich gesehen war der Aufbau dieses Programms
ein Desaster: Noch kurz vor dem Marktdurchbruch der Wärmeschutzverglasungen
mit U-Werten von (damals guten!) 1,2 W/(m²K)) wurde fast der
gesamte Fensterbestand durch aus heutiger Sicht nicht nur mittelmäßigen,
sondern wirklich mangelhaften Isolierverglasungen (U-Werte um 2,8
W/(m²K)) ausgetauscht - und der Wärmeverlust so auf hohem
Niveau "stabilisiert". Im schlimmsten Fall bleibt die
erhoffte Wirkung der überhöhten Förderanreize sogar
gänzlich aus, sondern führt lediglich zu steigenden Preisen
der Bauprodukte und Handwerkerangebote. Dieser Effekt wurde damals
der Regierung seitens führender wirtschaftswissenschaftlicher
Institute vorgeworfen.
Ein Fehler wäre
es, mit dem Hinweis auf dieses gescheiterte Programm nun alle staatlichen
Anreizprogramm abzulehnen. Anreizprogramme können nämlich
tatsächlich eine bedeutende positive Wirkung in jeder Hinsicht
entfalten, wenn sie nur richtig angelegt sind. Ein sorgfältig
durchdachter Vorschlag liegt vom Autor dazu schon seit langem vor
(Feist 2000: Förderkonzept
Gebäudebestands-Modernisierung), ein Zitat aus diesem Papier:
Entscheidend
für die Wirkung eines Konzeptes zur Verbesserung der Energieeffizienz
im Bestand ist es nun gerade, diese ohnehin erfolgenden Maßnahmen
im Sinne einer entscheidenden wärmetechnischen Verbesserung
nutzbar zu machen. Leider werden nämlich heute bei den jeweils
einzelnen Anlässen von Ohnehin-Maßnahmen überwiegend
die dabei möglichen gekoppelten Effizienzverbesserungen nicht
oder nur mit unzureichender Qualität ausgeführt. Ein entscheidendes
Ziel des Programms muss es sein, genau diese entgangenen Gelegenheiten
für sinnvoll genutzte gekoppelte Maßnahmen zu mobilisieren.
Das Ankoppeln von Effizienzverbesserungen an anders motivierte bauliche
und haustechnische Maßnahmen ist daher geradezu erwünscht.
Das Konzept muss diese Anlässe bewusst nutzen, um für
die gleichzeitige Durchführung wärmetechnischer Maßnahmen
zu motivieren. Gerade durch diese Kombination entsteht erst die
einzelwirtschaftliche Basis, bedeutende Verbesserungen einzelwirtschaftlich
vertretbar in der Breite umzusetzen. Darüber hinaus wird generell
die Motivation für energiesparende Maßnahmen angehoben.
Ein Beispiel: Ein häufiger Anlass für eine außenliegende
Wärmedämmung eines Gebäudes kann eine fällige
Putzerneuerung sein. Weil in diesem Fall die Kosten für Gerüst,
Abklopfen bzw. Ausbessern des Altputzes und Neuverputz ohnehin anfallen,
sind die zusätzlichen Kosten, die für das Anbringen einer
Wärmedämmung entstehen, einzelwirtschaftlich vertretbar.
Trotz dieser einmaligen Chance für eine bedeutende Verbesserung
unterbleibt die Dämmung heute noch in vielen dieser Fälle.
Ähnlich ist die Lage bei Neueindeckungen oder Ausbauten von
Dächern, Innenrenovierungen und dem Austausch von Heizkesseln.
All diesen Anlässen ist eines gemein: Es werden mit oft nicht
geringen Mitteln Bauteile und Komponenten des bestehenden Gebäudes
verändert, die entscheidenden Einfluss auf die Energieeffizienz
haben. Durch eine qualitätvolle Wahl der jeweiligen Maßnahme
lassen sich jeweils zusätzliche Energieeinsparungen in hohem
Umfang realisieren. Dafür sind in der Regel gewisse Mehrinvestitionen
gegenüber den Ohnehin-Maßnahmen erforderlich. Ein entscheidender
Impuls des Förderkonzeptes muss nun genau darin liegen, eine
Motivation für die Durchführung dieser gekoppelten Maßnahmen
zu schaffen.
Bild 1 zeigt die energiewirtschaftlich
relevanten Ergebnisse für zwei unterschiedliche Handlungsweise:
Verwendung von "normaler"
Niedrigenergie-Technologie, die wie folgt angesetzt wurde:
Erreichte U-Werte bei
Wänden, Dächern, Kellerdecken von etwa 0,3 W/(m²K)
entsprechend Dämmstärken von 10 bis 15 cm mit konventionellen
Dämmstoffen.
Verwendung von heute
üblichen neuen Fenstern (Uw = 1,46
W/(m²K).
Mindestlüftung ohne
Wärmerückgewinnung.
Versorgungstechnik: Brennwertkessel
oder gute elektrische Wärmepumpen.
Mit dieser Strategie
ist bei maximal sinnvoller Umsetzungsrate eine Heizenergieverbrauchsreduktion
von 25 % bis zum Jahr 2040 möglich. Alle Einzelmaßnahmen
sind für die Gebäudeeigner wirtschaftlich durchführbar.
Verwendung von hocheffizienten
Sanierungsmaßnahmen, wie folgt angesetzt:
Erreichte U-Werte bei
Wänden, Dächern, Kellerdecken von etwa 0,15 W/(m²K),
entsprechend Dämmstärken von 20 bis 30 cm
mit konventionellen Dämmstoffen
Verwendung von dreischeibenverglasten
Warmfenstern (Uw = 0,8 W/(m²K)).
Einbau einer Lüftung
mit effizienter Wärmerückgewinnung (WRG
größer oder gleich 85 %)
Versorgungstechnik: Brennwertkessel
oder elektrische Wärmepumpen, u.a. Wärmepumpenkompaktgeräte.
Mit dieser Strategie
ist bei maximal sinnvoller Umsetzungsrate bis 2040 eine Heizenergieverbrauchsreduktion
im gesamten Bestand (inkl. der in diesem Zeit nicht sanierten Gebäude!)
von 50 % möglich. Auch bei dieser Strategie sind alle Einzelmaßnahmen
für die Gebäudeeigner wirtschaftlich durchführbar,
auch wenn die energiebedingten Investitionskosten insgesamt etwa
doppelt so hoch sind: Auch die Energiekosten-Einsparungen sind im
Mittel etwa doppelt so hoch.
Der Vergleich der beiden
Zeitreihen zeigt, wie wichtig es ist, bei jeder Einzelmaßnahme
die höchste ökonomisch vertretbare Energieeffizienz zu
erreichen. Nur so ist nämlich eine Halbierung des Energieverbrauchs
in der dafür zur Verfügung stehenden Zeit möglich.
Aus der Zeitdynamik dieser
Entwicklung folgt ein zweiter, noch bedeutenderer Grund für
die Notwendigkeit des Grundprinzips "Wenn schon, denn schon".
Dies sei wieder an einem Beispiel illustriert: Wird z.B. bei einer
Fassade durch Anbringung einer Wärmedämmung mit 10 cm
Dämmstärke eine (nicht unerhebliche) Energieeinsparung
erreicht, so ist diese Fassade für die nächsten 50 Jahre
erledigt. Solange muss eine Sanierung nämlich halten, wenn
sie überhaupt ökonomisch vertretbar sein soll - übliche
Putzfassaden haben diese Dauerhaftigkeit, wie erst unlängst
wieder systematisch nachgewiesen wurde. Die Fassade weist dann einen
U-Wert von 0,31 W/(m²K) auf. Dann lohnt es sich aber unter
keinerlei Umständen mehr, diese Fassade zu einem späteren
Zeitpunkt noch einmal wärmezudämmen. Die fixen Kosten
einer solchen Maßnahme, die im Erstellen eines Gerüstes
und der Neuanbringung des Putzes liegen, sind mit mindestens 70
€/m² so hoch, dass die Ausführung niemals sinnvoll
sein wird (die Kosten für eine eingesparte Kilowattstunde würden
dann bei über 16 €Ct/kWh liegen). Ähnlich stellt
sich dies auch für alle anderen Maßnahmen dar: Die Ausführung
einer nur mäßigen Verbesserung an einem bisher schlechten
Bauteil ist ein Hemmnis, das auf absehbare Zeit die Erschließung
weitergehender Einsparpotentiale verhindert. Durch die systematische
Analyse dieser Zusammenhänge wird deutlich, warum das Grundprinzip
"Wenn schon, denn schon" bei Neubau und Modernisierung
einen so hohen Stellenwert hat.
(aktualisiert:
03.08.2009 Autor Wolfgang Feist © Passivhaus
Institut; unveränderte Wiedergabe unter Angabe der Quelle gestattet)
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