Klimaschutz
heute - Folge 4
Architektonische Energie
- Die CO2-Konzentrationen
in der Erdatmosphäre nehmen messbar zu (von
293 im Jahr 1900 auf 380 ppm heute).
- Dies führt zu einer
Erhöhung der weltweiten Mitteltemperaturen (derzeit um ca. 0,6°C).
- Bedenklich sind die Folgen
für den Anstieg des Meeresspiegel, die Ausbreitung der Wüsten
und Extremwetterereignisse. (Quelle: IPCC).
- Diese Folgen sind von hohem
Schadensrisiko für den Menschen und seine Wirtschaft (vgl. auch
Stern-Report).
Dennoch, der IPCC-"Fourth
Assessment Report" vom Mai 2007 zeigt auch:
Eine irreversibel
schädliche Entwicklung ist heute noch vermeidbar. Die schlimmsten
Folgen können durch verantwortliches Handeln abgewendet werden.
Ein ernsthafter Klimaschutz
muss dazu aber heute beginnen.
Wenn wir den
Klimawandel eingrenzen wollen, so muss die Verbrennung fossiler Brennstoffe
reduziert werden. Dazu gibt es eine Reihe erfolgversprechender Ansätze.
Architektonische Energie ist ein wichtiger davon.
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Dr.
Wolfgang Feist leitet das Passivhaus-Institut in Darmstadt. Er ist Dipl.-Physiker
und promovierter Bauphysiker.
Unten:
Entwicklung der CO2-Konzentration
- Messung der Station auf Mauna Loa / Hawaii
Quelle
der Daten: C.D. Keeling, T.P. Whorf, and the Carbon Dioxide Research Group
Scripps Institution of Oceanography (SIO), University of California, La
Jolla (Klicken Sie auf das Bild für eine vergrößerte Version)
Der
Energieverbrauch
ist hauptverantwortlich für die CO2-Erhöhung: Durch
die Verbrennung von Kohle, Erdöl und Erdgas wird der in diesen Brennstoffen
gespeicherte Kohlenstoff zu CO2 verbrannt und in die Atmosphäre
freigesetzt. (Siehe auch: Folge 1.)
Die Energieversorgung
beruht heute und auf absehbare Zukunft hauptsächlich auf diesen sogenannten
fossilen Brennstoffen.
Aber: durch
effizientere Nutzung von Energie lässt sich der Bedarf an den fossilen
Brennstoffen verringern. So weitgehend, dass eine nachhaltige Versorgung
aus erneuerbaren Energiequellen möglich wird. (Siehe auch: Folge
3 )
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Energienutzen
am Beispiel Gebäudeheizung
Was
ist der Nutzen der Heizung? Die dazu erforderliche Analyse hat Ole
Fanger in den 1970er Jahren durchgeführt und in seinem berühmten
Buch "Thermal Comfort" (thermische Behaglichkeit) dokumentiert.
Heute sind diese Erkenntnisse allgemein und international anerkannt; sie
wurden in der internationalen Norm ISO 7730 festgehalten: Optimale thermische
Behaglichkeit stellt sich ein, wenn die Wärmeabgabe des menschlichen
Körpers im Gleichgewicht mit seiner Wärmeproduktion ist. Daraus
wird die Fanger'sche Behaglichkeitsgleichung abgeleitet: Diese
stellt eine physikalische Beziehung zwischen den Temperaturen im Raum,
einigen weiteren Größen und der Aktivität sowie der Kleidung
des Nutzers her. Für die Werte von Raumluftfeuchtigkeit, Luftgeschwindigkeit,
Temperatur am Fußboden und Temperaturdifferenzen zwischen verschiedenen
Oberflächen gibt es bestimmte Intervalle, die ebenfalls eingehalten
werden müssen - und die ein modernes Gebäude in der Regel auch
relativ einfach einhalten kann.
Die einzige Größe, deren Einhaltung einen gewissen Aufwand
erfordert, ist die Temperatur: In konventionellen Gebäuden braucht
es regelmäßig einer Maschine, welche die Temperatur im Inneren
auf behaglichem Niveau hält, wenn außen zu kalte Bedingungen
vorliegen. Diese Maschine nennen wir Heizung und es war wohl eine der
ersten Maschinen überhaupt, die der Mensch erfunden hat - das ist
vielleicht auch der Grund dafür, dass die Heizung meist als etwas
ganz Elementares und Selbstverständliches angesehen wird (vgl. den
griechischen Prometheus-Mythos).
Unter der leicht zur erfüllenden
Voraussetzung, dass alle Nebenbedingungen der ISO 7730 eingehalten werden,
wird thermische Behaglichkeit in einem Gebäude erreicht, wenn eine
örtlich und zeitlich stabile wahrgenommene ("operative")
Temperatur (von ca. 21 bis 22 °C) aufrecht erhalten wird. Dies fordert
die Konstanz einer intensiven Zustandsgröße, der Temperatur.
Ohne weiteren Aufwand bleibt die Temperatur in einem Haus aber nicht konstant
und auch nicht im Bereich der geforderten 21-22 °C.
Aus
Erfahrung...
Im kältesten
Winter des letzten Jahrhunderts (1984/85) waren wir eben in unsere
neue Wohnung im Erdgeschoss eines schönen Gründerzeitbaus
umgezogen. Sie war mit Öl-Einzelöfen ausgestattet. Nun,
der Vormieter hatte nicht einen Tropfen Öl im Tank gelassen.
1984/85, das war das Jahr der 2. Ölkrise in Deutschland. Eine
Zeit, in der der Ölpreis auf früher nicht gekannte Höhen
strebte, 80 Pfennig pro Liter! Aber das war es nicht allein; natürlich
war sofort Heizöl bestellt worden - wir waren aber nicht die
Einzigen und deshalb hieß es eine gute Woche auf die Lieferung
warten. Eine Woche ohne Heizung im Erdgeschoss eines Gründerzeitbaus...
Der Neckar
war in der Stadt erstmals seit langem wieder vollständig zugefroren.
Und in unserem Erdgeschoss waren wir hilflos dabei, mit einem Heizlüfter
gegen die einfallende Kälte anzukämpfen. Zugegeben, -15°C
Außentemperaturen sind ein wenig extrem. Dass es in der Wohnung
dann so kalt wurde, dass das Blumenwasser in der Vase gefror - das
machte uns den zweiten Hauptsatz der Wärmelehre unmittelbar
anschaulich klar.
Böse
Zungen behaupten, dieses Erlebnis sei so eindrucksvoll gewesen,
dass der Autor allein deswegen später ein Passivhaus bauen
musste. Das ist zumindest eine maßlose Übertreibung,
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Von selbst streben die Gegenstände dem thermischen Gleichgewicht
zu - mit der Zeit ist es drinnen genauso kalt wie draußen, jedenfalls
fast. Um diese Anpassung an die Umgebungsbedingungen aufzuhalten, heizen
wir gegen den Wärmeverlust an. Das ist die Funktion der Heizung:
Sie muss einen Zustand aufrecht erhalten, der so von selbst nicht stabil
wäre. Die Heizung ist dafür da, einen an sich instabilen Zustand
künstlich aufrecht zu erhalten. Und diese Kunst ist wichtig, die
Folgen sind sonst sehr ungemütlich, wie es die Anekdote zeigt.
Aufrechterhalten wird ein thermischer
Zustand - gegenüber anders liegenden Umgebungsbedingungen. Der Abstand
der beiden Zustände wird durch die Temperaturdifferenz beschrieben.
Da dieser Zustand über einen längeren Zeitraum anhält,
summieren wir die Temperaturdifferenzen über die Heizzeit und kommen
zu dem gemeinhin "Heizgradtage" genannten Integral. In Irkutsk
ist die Aufgabe natürlich eine größere Herausforderung
als in Palermo.
Zwei
verschiedene Wege zum gleichen Ziel:
Heizen oder Dämmen - aktiv oder passiv
Nun, da der Nutzen klar beschreiben
wurde, ist es leicht zu verstehen, dass er mit zwei grundsätzlich
unterschiedlichen Methoden erreicht werden kann:
aktiv |
Der auftretende Wärmeverlust
aus dem Gebäude wird durch Zufuhr von Wärmeenergie
ersetzt - diese wird meist durch einen Brennstoff erzeugt. Wenn
die zugeführte Energie gleich hoch ist wie der Wärmeverlust,
dann kann der behagliche Zustand aufrecht erhalten bleiben: Die
Temperatur bleibt konstant - dank
Heizung.
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passiv
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Das Gebäude wird thermisch stabilisiert: Durch Wärmeschutz
wird der Transport von Wärme durch die Gebäudehülle
stark verringert. Dadurch dauert es viel länger, bis nennenswert
Energie aus dem Haus abgeflossen ist. Im Passivhaus so lang, dass
eine herkömmliche aktive Heizung gar nicht mehr gebraucht wird.
Die Temperatur bleibt auch konstant - dank
Dämmung.
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Der Nutzen bleibt der gleiche
- ganz genau analysiert, ist er im Fall der passiven Lösung sogar
höher (denn die Temperaturunterschiede im Inneren des Hauses sind
geringer und die Temperatur ist stabiler).
Aber der jeweils zugehörige
Aufwand ist ganz unterschiedlich:
- Für die aktive
Lösung wird ständig viel Heizenergie gebraucht. Diese
muss gewonnen, zum Haus gebracht und bezahlt werden. Und die verbleibenden
Abfälle der Energieumsetzung (CO2 und andere Schadgase)
belasten die Atmosphäre.
- Für die passive
Lösung wird am Anfang beim Bau oder bei der Modernisierung
des Gebäudes eine bessere Bauqualität der Gebäudehülle
gebraucht. Dazu bedarf es eines Material- und eines Beschäftigungseinsatzes.
Der Materialeinsatz ist vernachlässigbar gering. Der Beschäftigungseinsatz
ist durchaus nennenswert - aber er "rechnet" sich. Die Umweltbelastung
ist so gering, dass diese Lösung über Jahrhunderte ohne schädliche
Folgen praktiziert werden kann.
Der letztendlich verbleibende
Netto-Effekt beim Übergang von einer aktiven auf eine passive Lösung
ist:
Ständig anfallender Rohstoffverbrauch
wird durch investiven Beschäftigungseinsatz bei etwa gleichen Kosten
ersetzt. Durch diesen Ersatz wird ein irreversibles Konzept durch eine
nachhaltige Lösung ersetzt.
Der zuvor bestehende Energieverbrauch
entfällt. Das kann auch so gesehen werden: Die durch materielle Umwandlungen
gewonnene Energie (aus Kohle, Öl, Gas oder Uran) wird durch architektonische
Energie ersetzt. Architekten verstehen darunter eher etwas anderes
- dass dieses Verständnis im Sinn von kreativer Energie mit dem energieeffizienten
Bauen durchaus verträglich ist, zeigen viele Beispiele - von architektonischer
Energie, in beiderlei Sinn des Wortes.

Passivhaus Neumarkt / Architekt Forstner |

Passivhaus Amstetten -
Architekten Poppe&Prehal
|

Passivhaus Turnhalle München
Architekten Pfletscher und Steffan |

Passivhaus Bürogebäude in Wiesbaden Architekt Zimmer |
Keine
Angst vor dem Klimaschutz
Um es warm zu haben, glaubte
Prometheus den Göttern das Feuer stehlen zu müssen. Heute könnten
wir sagen: Was für ein typisch kurzsichtiges menschliches Verhalten.
Hätte Prometheus nur etwas länger und intensiver nachgedacht,
so wäre ihm bald eine schlauere Lösung eingefallen: Mit Stroh,
Wolle, Flachs und anderen Fasern, die den frühen Menschen auch schon
zur Verfügung standen, lässt sich die Behausung so gut wärmedämmen,
dass für eine angenehme Innentemperatur auf das gefährliche
Feuer verzichtet werden kann. Der Konflikt mit Zeus hätte sich erübrigt
- und auch so manch anderer Gewaltstreich, unter dem die Menschen in den
vergangenen Jahrhunderten leiden mussten.
Heute ist es der Konflikt mit
dem Klima auf unserer Erde, den die Menschen in kurzsichtigem Verhalten
heraufbeschwören. Hier geht es nicht mehr um das Leiden einzelner
Individuen - ohne überflüssige Dramatisierung muss es beim Namen
genannt werden: Es geht um das Überleben der ganzen Art. Es steht
viel auf dem Spiel - doch der Aufwand, dieses Spiel noch zu gewinnen,
ist gar nicht groß. Der Aufwand besteht eigentlich nur darin, die
Lektion des Prometheus nun zu lernen: Erst denken, dann (passiv) bauen;
das erzürnt die Götter weniger als (aktiv) klauen - nämlich
das Feuer, in heutiger Sprechweise die Energie, den Göttern, in heutiger
Sichtweise unserem Planeten (und dem unserer Kinder).
Architektonische
Energie kostet weder ein Vermögen - und schon gar nicht kostet sie
Arbeitsplätze oder Wirtschaftswachstum. Im Gegenteil: Die geschaffenen
Werte werden durch sie höher, die Behaglichkeit nimmt zu - und die
Schäden nehmen ab. Architektonische Energie steht beispielhaft für
den Weg, Dienstleistungen durch Intelligenz und Kreativität zu schaffen
statt durch sinnlosen Verbrauch. Technisch wird dies mit Energieeffizienz
bezeichnet. Und im Bauwesen steht das Passivhaus
synonym für Energieeffizienz.
In loser Folge werden weitere
Beiträge in dieser Reihe erscheinen.
Bereits erschienene Artikel:
Klimaschutz
heute - Folge 1
Klimaschutz
heute - Folge 2
Klimaschutz
heute - Folge 3 |