Emissionsgrad = Absorptionsgrad

ein Beweis des Kirchhoff'schen Gesetzes

 


An einem opaken (undurchsichtigen) Körper wird Strahlung teilweise absorbiert, der Rest wird reflektiert (α+ρ=1). Die absorbierte Energie wird in thermische Energie (Wärme) des absorbierenden Körpers umgewandelt.

 

Das Verständnis dieser Seite setzt voraus, dass der Leser die Begriffe Temperaturstrahlung, Emissionsgrad ε, Absorptionsgrad α und Reflexionsgrad kennt, diese werden hier eingeführt: Strahlungsphysik.

Außerdem sollte der "Zweite Hauptsatz der Thermodynamik" in seiner einfachsten Form bekannt sein:

Eine thermische Netto-Energie-Übertragung ist nur von einem System höherer Temperatur zu einem System niedrigerer Temperatur möglich.
2)

Dieser 2. Hauptsatz ist ein Axiom der Thermodynamik ("Wärmelehre"). Er entspricht unseren Erfahrungen, ist aber wie alle "Gesetze der Physik" nicht ohne Rückgriff auf andere Annahmen beweisbar. Vielmehr liegt seine fundamentale Bedeutung darin, dass dieser 2. Hauptsatz sich bisher bei jeder experimentellen Prüfung als korrekt erwiesen hat. 1)

Grafik zum Kirchhoff'schen Gesetz (Teil 1):
Der Schwarzkörper strahlt mit S
0 ...

...davon wird α S0 an der
Oberfläche des Körpers K absorbiert
... und Srefl = (1-α) S0 reflektiert.
Zudem strahlt der Körper K eigene
Temperaturstrahlung in der Höhe S
K = ε S0 ab.

Der zweite Hauptsatz verlangt, dass es keinen Nettoenergietransfer zwischen den Strahlern geben kann (sie haben gleiche Temperatur). Daher müssen die nach rechts gerichteten Strahlungsströme gleich den nach links gerichteten sein, woraus ε = α folgt (siehe Text auf der rechten Seite).

Das Kirchhoff'sche Gesetz:
Absorption = Emission

Das Kirchhoff'sche Strahlungsgesetz besagt, dass für jeden Körper im thermodynamischen Gleichgewicht mit dem Temperaturstrahlungsfeld bei jeder Wellenlänge der Temperaturstrahlung gilt:

ε(λ) = α(λ)

 

Beweis:

Teil 1: Wir nehmen einen beliebigen Körper K, der sich im thermischen Gleichgewicht bei der Temperatur T befindet. Seine Oberfläche kann ohne Beschränkung der Allgemeinheit als unendlich ausgedehnte Ebene angesehen werden. Wir stellen dieser Oberfläche eine ebenfalls unendlich ausgedehnte Ebene eines "Schwarzen Körpers" ebenfalls der Temperatur T gegenüber, und zwar so, dass ein möglicherweise stattfindender Energieaustausch allein über die Strahlung erfolgt (zwischen den Oberflächen ist also Vakuum). Vom Schwarzen Körper wird alle Strahlung SK absorbiert, die vom Körper K ausgeht (das ist die Definition des Schwarzen Körpers). Vom Körper K wird die Strahlung αS0 der Strahlung des Schwarzen Körpers absorbiert.

Nun kommt die Voraussetzung ins Spiel: Es herrscht thermodynamisches Gleichgewicht. Daher kann netto nicht mehr Energie in eine der beiden Richtungen übertragen werden; es muss also gelten

SK = αS0

zumindest für die Summe aller Strahlung. Daraus erhält man sofort die Gleichheit von Absorptions- und Emissionsgrad.

Grafik zu Teil 2:

Der Beweis, dass die Gleichheit von Absorptions- und Emissionsgrad nicht nur für die Gesamtstrahlung, sondern im thermischen Gleichgewicht für jede Wellenlänge einzel gilt (!) erfordert nur, dass zwischen die Strahler ein Spektralfilter angeordnet wird, das bis auf die Strahlung in einem engen Intervall um die Wellenlänge λ alle übrige Strahlung reflektiert.

 

Dieser Link führt zu Basisinformationen zum Thema Passivhaus.

Link zur Homepage des Passivhaus Institutes:

Teil 2: Nun fügen wir in den Strahlengang ein Filter ein, das nur einen schmalen Bereich um die Wellendlänge λ herum durchlässt. Jetzt bestehen die ausgetauschten Strahlungsströme auch nur noch aus der emittierten Strahlung zur Wellenlänge λ des Körpers SK(λ) sowie der absorbierten Schwarzkörper-Strahlung α(λ)S0(λ). Und diese müssen, vgl. die obige Argumentation, gleich sein. Damit haben wir

ε (λ) = α(λ),

was zu beweisen war.3)

 

Mit einem sehr allgemein gehaltenen Axiom (nämlich dem zweiten Hauptsatz der Thermodynamik) gelingt es bei diesem sehr klaren und kurzen Beweis, einen Zusammenhang abzuleiten, der für sich allein sehr unanschaulich ist: Warum soll ein Körper mit einer bestimmten Aufteilung zwischen Reflektion und Absorption an seiner Oberfläche ganz bestimmte Temperaturstrahlungseigenschaften genau für die betrachtete Wellenlänge haben? Tatsächlich benötigt ein "konstruktiver" Beweis für dieses Gesetz einige Erkenntnisse zu den Eigenschaften der Materie, wie sie heute durch die Quantenmechanik gegeben sind - aus einfachen Grundüberlegungen der Thermodynamik folgt das Gesetz jedoch ganz einfach.

Zurück zu Grundlagen der Strahlungsphysik.

Was hat das mit dem energieeffizienten Bauen zu tun? - siehe:
Der Trick mit der Wärmeschutzverglasung.

Passivhaustagung:

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Die Sonne befindet sich (bis auf die Energieproduktion durch Fusion im Kern) seit einigen Milliarden Jahren weitgehend in einem thermischen Gleichgewicht. Ein konstanter Energiestrom gelangt vom Kern durch verschiedene Zonen mit abnehmenden Temperaturen und jeweils unterschiedlichen dominierenden Prozessen des Energietransports nach außen, aus der Photosphäre wird die Energie schließlich in das All im Wesentlichen als Temperaturstrahlung abgestrahlt.


Ausschnitt aus dem Bild oben: In jeder Schicht herrscht Gleichgewicht zwischen der von innen aufgenommenen Energie und der nach außen abgegebenen (vgl. Energiebilanz). Damit (1. Hauptsatz), mit dem 2. Hauptsatz, den Strahlungsgesetzen, dem Druckgleichgewicht und der Massenstrombilanz können die Vorgänge des Energietransportes in einem Stern wie der Sonne beschrieben werden. Diese Beschreibung hat bis heute der Beobachtung an Millionen von Sternen stand gehalten - "streng mathematisch bewiesen" ist sie damit nicht.


In der Mythologie suchte der Mensch Erklärungen für die Vorgänge in der Natur. Oft war der Glaube an die Mythen verhaftet in der Überzeugung einer "endgültigen Wahrheit". Das scheint vielen Menschen die Sicherheit zu vermitteln, die sie suchen. Die Wissenschaft steht den Mythen - wie auch ihren eigenen Theorien - kritisch gegenüber. "Kritisch" ist nicht gleichzusetzen mit ablehnend - nur mit dem Auftrag, nicht nachzulassen in der Prüfung der betreffenden Aussagen. Heute glauben die meisten Menschen nicht mehr an Seeungeheuer wie dem hier dargestellten Ketos, vor dessen Übergriff Perseus Andromeda schützt. Letztendlich leben die Menschen mit weniger Ängsten, wenn sie nicht mehr an Dämonen und böse Geister glauben, die ihnen an verschiedenen Stellen auflauern.


Die Bahn der Erde um die Sonne (Orange) im Vergleich zu einem Kreis (blau). Die Erkenntnis, dass die Erde ein vergleichsweise kleiner Planet ist, der sich in einer elliptischen Bahn um den gemeinsamen Schwerpunkt von Erde und Sonne bewegt, hat viele Jahrhunderte benötigt, bis sie (nahezu) allgemein anerkannt war. Zeitweise war es lebensgefährlich, diese Erkenntnis zu vertreten. Wie jede Erkenntnis in den Naturwissenschaften ist auch diese nicht "absolut sicher". Freilich: Heute haben uns Hunderte von Raumsonden Bilder der Erde aus dem All gesandt und die Berechnungen von Erd- und Mondbahn erlauben die sekundengenaue Bestimmung von Ereignissen wie Mond- und Sonnenfinsternissen (sowie den genauen Ort des Kernschattens der letzteren).

Wissenschaftliche Erkenntnisse sind nicht allesamt gleichermaßen "gesichert". Die Grundlagen der klassischen Physik, der Mechanik, Elektrodynamik und Thermodynamik und auch der modernen Theorien der Quantenmechanik und Quantenelektrodynamik sind jedoch in ihrem (klar definierten) Geltungsbereich in etwa so sicher wie die "Tatsache", dass die Erde sich in einer Bahn um die Sonne befindet. Und diese, niemals absolute, aber doch sehr große Sicherheit beruht gerade darauf, dass sich in der Wissenschaft eine ständige kritische Prüfung aller Aussagen vollzieht. Nur Erkenntnisse, die sich bei diesen Prüfungen immer wieder bewähren, verbleiben im Fundus der Naturwissenschaft.


Verheerende Kräfte - kein Ruhmesblatt der Menschheits-geschichte, auch nicht der beteiligten Wissenschaftler. Wissenschaft kann sich missbrauchen lassen - und der Missbrauch kann zu unerhörten Konsequenzen führen. Diesen und anderen Missbrauch gilt es zu verhindern. Gerade Wissenschaftler haben sich darin immer wieder bis zur Gefährdung ihrer eigenen Sicherheit eingesetzt (vgl. die Pugwash-Konferenzen). Wissenschaft muss aus dieser Erfahrung heraus in einem ethischen Kontext stehen. In dessen Mittelpunkt steht die Würde der Menschen - aller Menschen. Und diese steht über allem Anderen, auch über den Lehren der Wissenschaft.


Freilich nur, wenn die Anwendung mit Leben gefüllt wird. Konsequentere Anwendung von Logik im Alltagsleben würde manchen Ärger ersparen...


Ist sie nicht wunderschön? Die Galaxie "M101" im Sternbild "Großer Bär" ist eine Sterneninsel ähnlich unserer eigenen Milchstraße. Sie beherbergt einige Zig Milliarden Sterne. Die Schönheit des Alls verliert nicht durch unser Wissen und unsere wachsende Fähigkeit, seine Teile zu beobachten - im Gegenteil (Aufnahme des Hubble-Weltraum-Teleskopes, stark verkleinert). Auf dem Bild mit hoher Auflösung können einzelne Sterne erkannt werden - in einer Entfernung von etwa 27 Millionen Lichtjahren. Dieses Licht stammt aus einer Zeit, zu der es auf der Erde noch keine Menschen gab.


Unsere unmittelbare Wahrnehmung beschränkt sich auf einen eher kleinen Ausschnitt der Umwelt. Schon hier gibt es viel Schönes zu entdecken. (Foto: Malene Thyssen)


Mit den Beobachtungsinstrumenten, welche die Naturwissen-schaften entwickelt habe, werden im Großen und im Kleinen weitere Schönheiten der Natur erkennbar. (Rasterelektronenmikroskopische Aufnahme einer Schneeflocke).

Anmerkungen

1) Innerhalb der statistischen Mechanik (bzw. Quantenmechanik) kann der 2. Hauptsatz konsistent aus anderen fundamentalen Axiomen abgeleitet werden.

2) Leider wird der zweite Hauptsatz vielfach ungenau (und damit falsch) zitiert: Wichtig ist die präzise Formulierung "thermische Netto-Energie-Übertragung".
a) In einem thermodynamischen Gleichgewicht gibt es oft einen thermischen Energiestrom, der von einem Körper niedrigerer Temperatur ausgeht (z.B. seine Wärmestrahlung) und von einem Körper höherer Temperatur möglicherweise absorbiert wird: Die Sonne absorbiert u.a. langwellige thermische Strahlung, die von der Erde ausgeht. Aber: Der umgekehrte Energiestrom, der vom Körper höherer Temperatur ausgeht und von dem mit niedrigerer Temperatur aufgenommen wird, ist immer größer. Genau das und nur das verlangt der 2. Hauptsatz.
b) Möglicherweise gibt es auch nicht-thermische Energieströme: Z.B. wenn auf dem Körper mit niedrigerer Temperatur eine gespannte Feder ein Projektil auf den Körper mit höherer Temperatur abschießt. Für solche Prozesse gilt der 2. Hauptsatz nicht - die gespannte Feder befindet sich nicht im thermischen Gleichgewicht mit dem Körper, es handelt sich genau genommen um ein Teilsystem mit sehr viel "höherer Temperatur".

3) Der Beweis wird hier streng im mathematischen Sinn geführt. Dabei wurde nur die Gültigkeit des 2. Hauptsatzes und des 1. Hauptsatzes der Thermodynamik vorausgesetzt. Deren Gültigkeit wiederum lässt sich unter anderen Annahmen aus der statistischen (Quanten-) Mechanik ebenso streng herleiten. Dennoch bleiben letztendlich die jeweils zugrunde liegenden Axiome unbeweisbar im mathematischen Sinn. Im Gegensatz zur Mathematik sind solche Axiome in der Naturwissenschaft aber nicht willkürlich und beliebig auswählbar. An die Grundannahmen werden vielmehr ebenfalls sehr strenge (nicht-mathematische!) Anforderungen gestellt:

Die verwendeten physikalischen Grundgesetze müssen überprüfbar sein. Das heißt, es müssen experimentelle Verfahren oder Beobachtungsanleitungen angegeben sein, die eine Prüfung der Grundgesetze erlauben. Wenn eine solche Prüfung, korrekt durchgeführt, im Widerspruch zum betreffenden Gesetz oder einer seiner Folgerungen steht, so ist das Gesetz für diesen Anwendungsfall falsifiziert. Zumindest muss sein Anwendungsbereich dann so eingeschränkt werden, dass der Widerspruch nicht mehr auftritt: Oder es muss ein anderes Grundgesetz an die Stelle der falsifizierten Aussage treten. Verifizieren kann man Gesetze der Naturwissenschaften grundsätzlich nicht.

Exkurs

Von manchen Zeitgenossen wird genau diese Tatsache betont und damit begründet, gerade die Aussagen der Naturwissenschaften seinen "nicht bewiesen" (ja, das stimmt) oder gar "besonders unsicher" (nein, das stimmt nicht). Die Naturwissenschaft ist hier und muss hier (im Gegensatz zu den Mythen, vgl. Bild links) ehrlich und immer kritisch sein: Fortschritt ist nur möglich, wenn unvollständige und falsche Vorstellungen durch umfassendere und um Fehler reduzierte Aussagen ersetzt werden. Die Naturwissenschaft hat historisch immer wieder die Erfahrung machen müssen, dass sich als "gesichert" geltendes Wissen nur in eingeschränkten Gültigkeitsbereichen als widerspruchsfrei erwiesen hat. Beobachtungen, die aus diesem Bereich herausführten, hatten dann gezeigt, dass im erweiterten Gesichtsfeld umfassendere Regeln gelten. Wer es nicht aushält, dass lieb gewordenen Ansichten sich unter erweitertem Horizont als unhaltbar erweisen, der sollte nicht Naturwissenschaftler werden.

Wie "sicher" sind somit die Aussagen der Naturwissenschaften? Keine unserer heutigen Aussagen ist "sicher" im Sinne einer absoluten Wahrheit. Aber: Viele der schon seit Jahrhunderten bewährten Gesetze der Physik sind in dem (meist für irdische Verhältnisse ziemlich umfassenden) Gültigkeitsbereich in etwa so sicher, wie die allgemein akzeptierte "Tatsache", dass sich die Erde in einer Bahn um die Sonne befindet.

So gesehen sind die Aussagen der Physik sogar außerordentlich sicher, und das erklärt auch das Vertrauen, das fast alle Menschen, insbesondere interessanterweise oft gerade die schärfsten Kritiker, in der Praxis in die Physik haben: Sie vertrauen ihr Leben Maschinen an, die im Vertrauen auf die Gültigkeit der Mechanik, Thermodynamik und Elektrotechnik gebaut wurden - Autos und Flugzeuge. Sie verwenden Radios, benutzen das Fernsehen und das Internet für die Verbreitung mancher bewusst "anti-wissenschaftlicher" Positionen und setzen mancherorts sogar auf die Entwicklung von Atomwaffen und den Einsatz von Waffen für die Durchsetzung ihrer dogmatischen, unverrückbaren Glaubenssätze. Ganz bewusst nenne ich hier keine Beispiele - muss aber leider feststellen, dass es hierfür heute mehr als nur ein paar wenige Beispiele gibt.

Es ist eine geradezu irrwitzige Situation: Da nutzen dogmatische Fanatiker, unter deren Einflusszone kritisches Denken und eigenes Denken überhaupt verboten ist, unter bewusster Ignoranz gegenüber der naturwissenschaftlichen selbstkritischen Vorgehensweise und deren kulturell bedeutendem Erkenntnisstand, singuläre "Errungenschaften" eben dieser Naturwissenschaften um damit letztendlich die offene, kritische und zur Toleranz verpflichtete Wissenschaft zu bekämpfen.

Was folgern wir daraus?

Naturwissenschaft setzt Toleranz voraus und erzieht zur Toleranz. Anders ist Fortschritt nicht möglich. Die Geschichte hat andererseits immer wieder gezeigt, dass mächtige Strömungen der Intoleranz möglich sind und immer wieder sehr viel Leid unter den Menschen angerichtet haben. Will Wissenschaft ihren Auftrag überhaupt erfüllen, so muss sie vor allem für Toleranz eintreten.

Wissenschaft findet nicht im luftleeren Raum statt, sondern eingebettet in eine Gesellschaft und in eine geschichtliche Entwicklung. Sie beeinflusst diese Entwicklung indirekt über die Technik in hohem Maß (Beispiele Radio, Mobiltelefon, Computer, Kraftwerk - aber auch Atombombe). Der Einsatz dieser Techniken erfordert ein hohes Maß an Verantwortungsbewusstsein bei den Menschen. Ein "falscher Einsatz" kann das Ausmaß des Leids, das intolerante Machtstrukturen verursachen, noch beträchtlich erhöhen.

Aus dieser Verantwortung ergibt sich nach meiner Überzeugung eine Pflicht des Naturwissenschaftlers für das einzustehend, das Voraussetzung der Wissenschaft ist: Eine offene, tolerante Gesellschaft und eine menschenwürdige Anwendung der indirekten Errungenschaften der Wissenschaft. Max Born hat sich dafür ebenso engagiert wie Albert Einstein, Betrand Russell und Karl Popper. Bewusst habe ich hier Namen genannt, die sich keinesfalls in allen naturwissenschaftlichen, philosophischen oder gar theologischen Fragen einig waren, ganz im Gegenteil. Aber in drei Dingen waren sich diese großen Denker einig:

  • In der Achtung der Würde der Menschen vor allen und über allen anderen Überzeugungen und Zielen,
     
  • In der Notwendigkeit der Toleranz für die Entwicklung von Gesellschaft und Wissenschaft und
     
  • in der Bereitschaft, eigene Ansichten zu überdenken, wenn es denn notwenig wird, weil die Tatsachen eine andere Sicht der Dinge erfordern.

Naturwissenschaft hat neben den indirekten technischen auch direkte, kulturelle Einflüsse auf die Entwicklung von Gesellschaften und die Geschichte. Diese Einflüsse können sehr wertvoll sein - leider sind sie heute viel zu wenig entwickelt, insbesondere in Europa. Das Lernen der naturwissenschaftlichen Methodik ist in mehrerer Hinsicht hilfreich für die Erziehung:

  1. Genaues und möglichst vorurteilfreies Beobachten schützt den Menschen vor vorschnellen Schlüssen.
     
  2. Das Nachvollziehen des Erkenntnisweges ist auch ein Nachvollziehen von Irrtümern - es macht, richtig reflektiert, uns Menschen bewusst, dass wir irren können. Schon deshalb ist ein allzu dogmatisches Beharren auf eigenen Positionen nicht zu rechtfertigen.
     
  3. Die Sprache der Naturwissenschaften ist die Mathematik. Mathematische Strenge zeigt uns Menschen im Gegensatz zur immer noch überwiegenden alltäglichen "Rechthaberei", wie sorgsam man seine Gedanken prüfen muss, bevor man sie als korrekt ansieht. Etwas mehr Logik im Alltagsgebrauch wäre vielfach sehr erlösend.
     
  4. Die Hintergründe der wissenschaftlichen Erkenntnis offenbart uns erst die Großartigkeit und Schönheit der Natur in vollem Umfang. So, wie der volle Genuss beim Zuhören einer Symphonie erst dann möglich ist, wenn der Hörende ein Kenner ist, so erschließt sich die Schönheit des Weltalls, der Meerestiefen, der Ökosysteme, der Pflanzen und Tiere und des Mikrokosmos erst mit einer gewissen Kenntnis der Hintergründe.

Diesen direkten kulturellen Werten der Naturwissenschaft sollte sich das Bildungssystem ganz im Sinne der Brüder Wilhelm und Alexander von Humboldt wieder verstärkt zuwenden. Das ist keine absolut sichere Garantie in der Abwehr von menschenverachtendem und dogmatischem Unsinn. Ebenso wenig wie die Wissenschaft absolut sichere Wahrheiten vermittelt. Aber es wäre ein Beitrag zur Stärkung einer humanen, unabhängigen, kritischen und selbstkritischen Urteilskraft.

Und es wäre ein Beitrag zur ganz praktischen Erfahrung, dass es neben Konsum und Macht auch andere schöne Dinge im Leben gibt - dazu gehören neben Literatur, Musik und bildender Kunst auch das Genießen und Erkennen von Natur, die Liebe zu Mensch, Umwelt und Kosmos.

Die Vielfalt in dieser Umwelt zu erhalten ist eine Pflicht des Menschen - in seinem wohl verstandenen eigenen Interesse. In einer toten Welt können auch die Menschen nicht überleben. Der Mensch ist sogar eines der empfindlichsten Wesen auf dieser Welt; und seine Ökonomie und Kultur ist noch empfindlicher.

  (aktualisiert 19.05.2007 Autor: Dr. Wolfgang Feist  
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