Zweiter Hauptsatz -
kein Mythos

Dr. Wolfgang Feist leitet das Passivhaus-Institut in Darmstadt. Er ist Dipl.-Physiker und promovierter Bauphysiker.

 



Nicht Umkehrbarkeit als Alltagserfahrung

Es ist dauernde Alltagserfahrung, dass viele von uns erlebte Abläufe an eine bestimmte Zeitabfolge gebunden sind. Eine zeitliche Umkehr solcher Vorgänge erscheint absurd.


So kennen
wir das.

Gibt es
nur in Schein-
welten.
 

Das Video stammt von wswww.physik.uni-mainz.de/Lehramt/ViMPS/Videos/Wasserspringen.html aus der Datenbank ViMPS der Universität Mainz.
Bearbeitet und "umgekehrt" durch W. Feist (Quelle: Dr. Friedrich Kayser StR Lars-Patrick May)

Beispiel: Ein Dachziegel, der vom Dach auf die Straße fällt und dort zerspringt. Kein Mensch würde im Ernst behaupten, dass die Zeitumkehr dieses Vorgangs irgendeinen Bezug zur irdischen Realität hat. Vor Gericht würde ein Zeuge, der solche Vorgänge behauptet, schlicht als unglaubwürdig gelten.

Dabei würde der Umkehrvorgang zu jedem Zeitpunkt den Gesetzen der mikroskopischen Mechanik gehorchen. Auch der Energieerhaltungssatz oder „1. Hauptsatz“ ist zu jedem Zeitpunkt für den Umkehrvorgang erfüllt. Der Vorgang ist nicht unmöglich – ist er nur so außerordentlich unwahrscheinlich, dass er „praktisch“ doch nicht vorkommt.

Die Erfahrung der Nicht-Umkehrbarkeit (im Fachbegriff „irreversibel“ genannt) bestimmter Abläufe ist so evident, dass sie als eine Grundaussage (ein Axiom) in das Theoriegebäude der Wärmelehre aufgenommen wird: Dies Grundaussage bildet den 2. Hauptsatz der Thermodynamik. Der beinhaltet tatsächlich nichts anderes, als dass er Vorgänge wie den im "falschen Film" rechts oben ausschließt.

Der Zweite Hauptsatz der Thermodynamik ist eines der Fundamente der Thermodynamik und er wird im Rahmen dieser Theorie nicht bewiesen, vielmehr ergibt sich seine Evidenz aus den oben aufgeführten Alltagserfahrungen und aus einer Vielzahl von experimentellen Beobachtungen. Trotz vielfältiger Bemühungen ist es bis heute niemandem gelungen, makroskopische Vorgänge wiederholbar zu beobachten, welche dem zweiten Hauptsatz widersprechen. Alle Erfahrungen stützen vielmehr den zweiten Hauptsatz – und das ist der Grund, weshalb er überhaupt formuliert wurde. Auch hier könnte eine lange Diskussion über Wahrheit, Beweis und Beweisbarkeit anschließen - vgl. die frühere Bemerkung zum Wesen naturwissenschaftlicher Erkenntnis.


In diesem Becher liegen 22 Murmeln, die alle gleich gefertigt sind, nur die Farbe ist verschieden. Sie schütteln das nun kräftig durch. Wie sieht das Ergebnis aus?

genau so?

oder eher so?

Ein etwas tieferes Verständnis ist aber im Rahmen der Statistischen Mechanik möglich: Dort zeigt sich, dass der zweite Hauptsatz dem Streben eines Systems aus einer Vielzahl von kleinen, vermischten Einzelteilen zu einer „Gleichverteilung“ entspricht – maximales „Chaos“ ist sozusagen die natürliche Verteilung, solange keine ernsthaften Ursachen dem gezielt entgegenwirken. Dies kann als wahrscheinlichkeitstheoretische Begründung des zweiten Hauptsatzes angesehen werden – die Axiomatik verschiebt sich dann auf noch elementarere Axiome der Wahrscheinlichkeitstheorie.

 

 


Formulierungen des 2. Hauptsatzes

Die folgende Formulierungen des zweiten Hauptsatzes sind zueinander gleichwertig (äquivalent).

Hinweis für den mit physikalischen Größen und Gleichungen weniger Vertrauten: Die Grundzüge des zweiten Hauptsatzes sind in jeder der folgenden Formulierungen einzeln enthalten. Sie müssen sich also mit dem Verständnis der für Sie nicht viel aussagenden anderen Formulierungen nicht herumschlagen.

Hinweis für den am tieferen Verständnis Interessierten: Es wird im Anschluss an die Formulierungen sogar ein (verkürzter) Beweis aufgeführt, der die Gleichwertigkeit aller dieser Formulierungen beweist.

(a) Wärme fließt in der Geamtbilanz nie von selbst vom kälteren zum wärmeren Medium. Klar, oder ... ?
(b) Es gibt kein "perpetuum mobile" der zweiten Art.
Das ist eine Maschine, die nichts anderes tut, als ständig Wärme aus einem einzelnen Reservoir vollständig in Arbeit umzuwandeln.

(c) Ein "Kraftwerk" kann aus Wärme Q, die einem Reservoir der Temperatur To entnommen wird, nur dann nutzbare Arbeit gewinnen, wenn es zugleich auch einen Teil der Wärme an ein zweites Reservoir mit niedrigerer Temperatur Tu (häufig wird die "Umgebung" verwendet) abgeben kann. Die maximal gewinnbare Arbeit W aus der dem oberen Reservoir entnommenen Wärme beträgt η Carnot ⋅ Q. Dabei ist η Carnot der sogenannte Carnot-Wirkungsgrad:

.

Ein Kraftwerk ist eine Maschine, deren Zweck darin besteht, Wärme in Arbeit umzuwandeln und die sich dazu einer Wärmequelle bedient.

Ein Reservoir ist ein thermodynamisches Gelichgewichtssystem, das seinen Zustand konstanter Temperatur auch bei Entnahme und Zufuhr von Wärme beibehält.

Carnot ist ein berühmter französischer Physiker. Er war einer der Ersten, welcher die hier beschriebenen Zusammenhänge aufgeklärt hat.

(d) Die Exergie B in einem abgeschlossenen System kann im Zeitverlauf nicht zunehmen. Die Exergie B ist die durch ideale Prozessführung maximal aus einem System gewinnbare Arbeit, wenn als zweites System ein Reservoir der Temperatur Tu zur Verfügung steht.
(e) Die Entropie S kann in einem abgeschlossenen System im Zeitverlauf nicht abnehmen. Die Entropie S ist ein Maß für die in einem System enthaltene nur als Wärme übertragbare Energie. Sie kann auch als Maß für die "Unordnung" im System angesehen werden.

 

 

Eine abschließende Bemerkung:

 

Das Passivhaus arbeitet nicht gegen die Gesetze der Physik - das wäre auch sinnlos, wie sollte es dann zuverlässig funktionieren? Das Passivhaus nutzt vielmehr die Kenntnisse der Physik und setzt sie klug ein. Physik in verblüffender neuer Form für die Praxis nutzbar zu machen, das setzt nicht immer Hochenergiebeschleuniger im GeV-Bereich voraus. Auch die klassische Thermodynamik birgt noch viele innovative und nutzbringende Anwendungen.

Das Passivhaus widerspricht dem zweiten Hauptsatz nicht - es nutzt aber alle heute bekannten "Tricks", um mit einem Gebäude möglichst nahe an die Reversibilität zu kommen. Das sind in etwa die gleichen Tricks, die ein guter Experimentalphysiker anwenden muss, wenn er "ohne Dreckeffekte" klassisch mechanische Versuche oder Demonstrationen zur klassischen Energieerhaltung vorführen will.

Völlig reversibel wäre das System Haus dann, wenn es gar keinen Wärmeverlust mehr gäbe - das ist aber weder notwendig (denn noch scheint uns eine wärmende Sonne) noch im strengem Sinne möglich. Das Passivhaus kommt in unserer technischen Umgebung darauf hinaus, dass gegenüber den üblichen Lösungen die Entropie abnimmt - sie nimmt aber im Zeitablauf immer noch (ein ganz kleines Bisschen) zu. Geringer bleibt die Entropie nur gegenüber anderen Szenarien - das verbietet der zweite Hauptsatz nicht. Der macht nur eine Aussage über die Reihenfolge der zeitlichen Entwicklung.

 

In loser Folge werden weitere Beiträge in dieser Reihe erscheinen.

Bereits erschienene Artikel:

Klimaschutz heute - Folge 1

Klimaschutz heute - Folge 2

Klimaschutz heute - Folge 3

Link zu Informationen zum Passivhaus: Passivhaus-Grundlagen.

Link zur Homepage der Passivhaustagung: Passiv Haus Konferenz.

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(aktualisiert 05.11.2006 Autor: Dr. Wolfgang Feist 
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