Graue Energie und Passivhaus - welche Bedeutung hat der Energieaufwand für die Herstellung?

Kurz und bündig: Was ist ein Passivhaus?

Dr. Wolfgang Feist, Passivhaus Institut, Darmstadt, 2007 (nach einer Veröffentlichung von [Feist 1997])
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Der kumulierte Primärenergieaufwand KEA

Ein vollständiger Vergleich muss über den gesamten Lebenszyklus erfolgen. In der zitierten Publikation wurde der kumulierte Primärenergieaufwand (KEA) über eine Nutzungsdauer von 80 Jahren für verschiedene Gebäudestandards verglichen (Abb.1). Für schlecht gedämmte Gebäude (deutsche Wärmeschutzverordnung 1984) beträgt der Herstellungsenergieaufwand (HEA) im Vergleich zum Verbrauch an Erdgas und Primärenergie für den Haushaltsstrom nur ca. 5%. Bereits beim Niedrigenergiehaus liegen die Bedeutung von Strom- und Erdgasverbrauch in der Nutzungszeit mit je 45% etwa gleich auf. Fortschritte können nun vor allem durch effiziente Nutzung von Strom erzielt werden. Beim Standard des Passivhauses wird durch sehr guten Wärmeschutz der Heizenergieverbrauch so gering, dass auf ein separates Heizsystem verzichtet werden kann. Der Herstellungsenergieaufwand von neuen Passivhäusern kann dabei sogar geringer sein als der von gewöhnlichen Neubauten. Bedingt durch den hohen Herstellungs- und Erneuerungs-Primärenergieaufwand (E-HEA) für aufwendige technische Systeme ist der kumulierte Energieaufwand für Energieautarke Häuser allerdings wieder höher als für ein Passivhaus [Röhm 1993].
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Abb. 1: kumulierter Primärenergieaufwand im Vergleich (Basis: Passivhaus Darmstadt Kranichstein ) [Feist 1997]; Materialdaten nach [Köhler 1995] und [SIA 0123]. Die Basisdaten für den Verbrauch an Strom und Gas sind beim Passivhaus Messwerte (vgl. Primärenergie-Passivhaus.) KEA = Kumulierter-Energie-Aufwand; E-HEA = Erneuerungs-Herstellungs-Energie-Aufwand; HEA = Herstellungs-Energie-Aufwand

Zeitverlauf


Abb. 2: Zeitentwicklung des kumulierten Primärenergieaufwandes über die Nutzungszeit von 80 a beim Referenzhaus nach WschVO ´84, Niedrigenergiehaus und Passivhaus [Feist 1997]

In Abb.26 ist der Zeitverlauf des kumulierten Primärenergieaufwandes (KEA) für 3 Varianten über einen Nutzungszeitraum von 80a dargestellt. Die „Startpunkte“ der Varianten zur WSchVO (HEA 1171 kWh/m²), Niedrigenergiehaus (1220 kWh/m²) und zum realisierten Passivhaus (1391 kWh/m²) liegen sehr eng zusammen. Bereits nach 2 Jahren liegt der kumulierte Energieaufwand des Referenzhauses über dem Niedrigenergiehaus und jenes über dem Passivhaus. Anschließend entwickeln sich die Primärenergieeinsätze im wesentlichen proportional zum unterschiedlichen Verbrauch in der Nutzungsphase auseinander; erkennbar sind aber auch die Erneuerungsaufwendungen für Sonnenkollektoren und Lüftungssysteme im Passivhaus (Sprünge alle 20 a bzw. alle 30a). Deutlich ist erkennbar, das der ökologische Gewinn beim Übergang vom Niedrigenergiehaus zum Passivhaus viel größer ist als beim Übergang vom Haus nach Wärmeschutzverordnung zum Niedrigenergiehaus.

Graue Energie... Wie sinnvoll ist die Superdämmung?

Wie sich der Herstellungsenergieaufwand ändert, wenn ausschließlich die Dämmdicke variiert wird (übrige Daten: wie Passivhaus), zeigt Abb. 3. Interessanterweise sinkt der HEA zunächst bis Dämmdicken um 5 cm, obwohl der Dämmstoff Herstellungsenergie erfordert: Die Ursache liegt in der Verkleinerung der Heizflächen (Stahl) durch verringerte maximale Heizlast. Bei einer Dämmdicke von ca. 23 cm wird bei diesem Haus schließlich der Passivhausstandard ereicht: Nun können das Wärmeverteilsystem und die restlichen Heizkörper entfallen, wodurch sich der Sprung in der Kurve ergibt. Bitte bachten: Bei diesem Diagramm ist der Nullpunkt unterdrückt! Die ausgewiesenen 44 kWh/m² sind gerade 3,5% der gesamten Herstellungs-Primärenergie.


Abb. 3 Herstellungs(primär)energieaufwand abhängig von der Dämmdicke bei einem Passivhaus. Zum Vergleich: Eine Dämmung mit der Dicke zum Passivhausniveau (rechts) spart gegenüber dem Ausgangswert (6 cm, links) je Jahr 59 kWh/(m²a) an Heizwärme ein. Der Energieverbrauch für die "Mehrdämmung" wird bereits in weniger als einem Jahr Heizbetrieb wieder eingespart.

Die Betrachtung des HEA allein ist jedoch irreführend: In Abb.4 ist der kumulierte-Energie-Aufwand über 80a KEA(80) in Abhängigkeit von der Dämmstoffdicke für das Passivhaus abgetragen. Hier wird deutlich, dass über den gesamten Bereich die Primärenergieaufwendungen während der Nutzungsphase dominieren und dass diese durch dickere Dämmung beträchtlich absinken (erst bei Dicken über 105 cm (!) würde der Herstellungsaufwand des letzten cm die von ihm erzielte Einsparung übersteigen).


Abb. 4 Kumulierter-Energie-Aufwand (80a) für ein Passivhaus, abhängig von der Dämmdicke

Fazit

Das Passivhaus ist ein erprobter und heute baupraktisch leicht umsetzbarer Baustandard. Es führt zu beträchtlichen Betriebskosteneinsparungen und zu gesicherten Energieeinsparungen in der Nutzungsphase. Der erforderliche Herstellungs-Energie-Mehraufwand, obwohl vorhanden, ist im Vergleich zu den im Lebenszyklus erzielten Einsparungen gering; dies wurde in einer unabhängigen Kontrollrechnung von anderen Autoren bestätigt [Mossmann, Kohler 2005]. Sowohl der Primärenergieaufwand für den Stromeinsatz während der Nutzungsphase als auch die Graue Energie in den Baumaterialen gewinnen aber bei energieeffizientem Bauen an Bedeutung. Hier können sowohl durch weitere Effizienzsteigerungen bei der Baustoffherstellung als auch durch effizientem Materialeinsatz weitere Fortschritte erzielt werden; diese dürfen aber nicht auf Kosten wieder steigender Betriebsenergie gehen, denn letztere überwiegt immer noch.

Die planerische Optmierung von Passivhäusern erfolgt zweckmäßigerweise mit dem Passivhaus Projektierungs Paket [ PHPP ], das ein umfassendes Tool zur Bestimmung von Gebäude-Energiebilanzen ist.

 

Hinweise:

  1. Diese Internet-Kurzfassung ist aus der Schrift "Lebenszyklusbilanzen im Vergleich: Niedrigenergiehaus, Passivhaus, Energieautarkes Haus" zusammengefasst worden. Die Langfassung ist im Protokollband 8 des Arbeitskreises kostengünstige Passivhäuser enthalten. Eine englische Übersetzung kann hier als pdf heruntergeladen werden: Life Cycle Passive House.
  2. Die Daten haben sich gegenüber der Erstellung der ursprünglichen Studie nicht nennenswert geändert, die Messdaten aus dem herangezogenen Passivhaus ohnehin nicht, aber auch die spezifischen Primärenergie-Input-Werte für Baumaterialien sind nach neuesten, heute leicht zugänglichen Datenbanken, nicht deutlich verändert. Das könnte sich künftig wenden, zumal Energie jetzt sehr viel teurer ist als vor 10 Jahren und sich effizientere Produktionsverfahren nun rentieren. Dies zu untersuchen war aber nicht Gegenstand des Beitrages.
  3. Wenn in der Literatur z.T. Aussagen zu finden sind, die den Ergebnissen dieser Arbeit zu widersprechen scheinen, sollte für einen korrekten Vergleich auf folgende Punkte geachtet werden: a) Wurde die Nutzungsphase (sie ist dominant) überhaupt berücksichtigt? b) Welcher Ansatz für den Lebenszyklus wurde gewählt? c) Wurde der Erneuerungsenergieaufwand einbezogen? d) Mit welchen Annahmen für die Rohdichte der Dämmmaterialien und mit welchem Dämmstoff wurde gerechnet?

 

Literatur

[Feist 1997] Feist, Wolfgang: Lebenszyklusbilanzen im Vergleich: Niedrigenergiehaus, Passivhaus, Energieautarkes Haus, In: Arbeitskreis Kostengünstige Passivhäuser, Protokollband Nr. 8: “Materialwahl, Ökologie und Raumlufthygiene“, Hrg.: Wolfgang Feist, Passivhaus Institut, Darmstadt, 1997, S. V/1 – V/11.

[Köhler 1995] Kohler, N.: Baustoffdaten, Ökoinventare; ifib Karlsruhe; HAB Weimer; ESU-ETH Zürich; 1995

[Mossmann, Kohler 2005] Mossmann, Cornelia; Kohler, Nikolaus; Jumel, Stéphanie: Lebenszyklusanalyse von Passivhäusern; Im Tagungsband der 9. Passivhaustagung, Ludwigshafen-Darmstadt 2005, S. 333-338

[PHPP 2007] Feist, W.; Kah, O.; Kaufmann, B.; Pfluger, R.; Schnieders, J.: Passivhaus Projektierungs Paket 2007, Passivhaus Institut Darmstadt, 2007.

[Röhm 1993] Röhm, T.: Der Energieaufwand zur Herstellung des Energieautarken Solarhauses Freiburg; Diplomarbeit, Universität Karlsruhe, 1993

[SIA 0123] SIA: Hochbaukonstruktionen nach ökologischen Gesichtspunkten; SIA-Dokumentation 0123; Zürich 1995


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( aktualisiert 19.05.2007 Autor: Dr. Wolfgang Feist 
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