Immer wieder wird in Veröffentlichungen der Einfluß der Wärmespeicherfähigkeit betont und argumentiert, daß eine Verbesserung des Wärmeschutzes bei Außenwänden sinnlos oder sogar schädlich sei. Begründet werden solche Behauptungen vor allem mit angeblich bisher von der Wissenschaft unberücksichtigten Effekten der Wärmespeicherfähigkeit einer Wand sowie mit dem Wärmegewinn durch die auf die Außenoberfläche treffende Solarstrahlung. Bereits 1987 ist der Autor unter dem gleichen Titel ausführlich auf diese Problematik eingegangen. Zwischenzeitlich liegen eine Fülle weiterer Erkenntnisse vor, die diese Publikation stützen; die Langfassung basiert auf der ursprünglichen Publikation, wurde aber überarbeitet und in wesentlichen Teilen ergänzt.

Der Stand der wissenschaftlichen Diskussion zeigt eindeutig und ohne jeden wissenschaftlich begründeten Zweifel:
Für den Verbrauch an Heizenergie eines Wohngebäudes bei normaler Nutzung im Klima von Mitteleuropa sind in erster Linie der Wärmeschutz der Außenhülle (d.h. die U-Werte der Bauteile) und der Luftaustausch durch Fugen verantwortlich. In zweiter Linie spielen auch die direkte und indirekte Sonneneinstrahlung durch die Fenster und die inneren Wärmequellen eine gewisse Rolle, beides als passive Gratiswärmen. Die Einstrahlung auf Außenwandoberflächen ist ein im allgemeinen vernachlässigbarer Effekt mit einem nur geringen Energiegewinn, der zudem im Regelfall aufgehoben wird durch die Wärmeabstrahlung in den kalten Himmel. Allerdings kann die passive Nutzung von Solarenergie durch Außenwände durch Maßnahmen wie eine selektive Beschichtung oder eine transluzente Dämmung erheblich erhöht werden. Schließlich ist der Einfluß der Wärmespeicherfähigkeit der Außenwände extrem gering (weniger als 0,5%) und kann wegen der bei hoher Masse schlechter wirksamen Nachtabsenkung in mäßig wärmegedämmten Gebäuden sogar zu einem Mehrverbrauch führen!

Diese Tatsachen werden in der Langfassung bewiesen und genauer erklärt. Als wesentliche Ergebnisse sei notiert:
? Auf die Dämmung gegen Wärmeverluste kommt es an. Dämmung ist immer wirksam – ob als Innen- oder Außendämmung. Wichtig ist jedoch die Vermeidung von konstruktiven Wärmebrücken und die Luftdichtheit.
? Auf die Wärmespeicherfähigkeit kommt es nicht an;
? und nur in geringem Maß kommt es auf den Absorptionsgrad der Außenoberfläche für Sonnenenergie und auf die Emissivität der Oberfläche für die langwellige Wärmeabstrahlung an.

Begriffsbestimmung

Als Wärmespeicherfähigkeit oder Wärmekapazität (dies ist der physikalische Fachbegriff) wird das Vermögen eines Materials bezeichnet, Wärmemengen im Temperaturgefälle aufzunehmen. Wir nutzen den Speichereffekt z.B. schon seit langer Zeit bei Wärmflaschen, Warmwasserspeicher und Speicherheizgeräten. Durch Wärmespeicherung kann grundsätzlich keine zusätzliche Energie gewonnen werden – jede aus einem Speicher entnommene Wärme muß diesem ursprünglich einmal zugeführt worden sein, z.B. beim Erhitzen des Warmwassers für die Wärmflasche.

Alle Wärmespeicher haben die lästige Eigenschaft der Selbstentladung:

Eine ungedämmte (also nicht unter der gut dämmenden Bettdecke befindliche) Wärmflasche gibt ihren Wärmeinhalt innerhalb von weniger als zwei Stunden ab und ist hernach eher eine „Kühlflasche“. Erst eine sehr gute Wärmedämmung macht einen Wärmespeicher wirklich wirksam – dies gilt in noch verstärktem Maße auch für das Warmhalten von Gebäuden. Hier ist die durch Speicherung zu überbrückende Zeit nämlich noch weit länger (mehr als ¼ Jahr) als bei der Wärmflasche (8 Stunden).

Wärmespeichern und Wärmedämmen gehören zusammen: Beides wird von einer Grundgleichung des Wärmetransportes beschrieben Physikalisch sind die komplexen Vorgänge der Wechselwirkung zwischen Wärmedämmung und Wärmespeicherung schon seit 1822 von Jean-Baptiste-Joseph de Fourier durch die Aufstellung der (dynamischen) Wärmeleitungsgleichung aufgeklärt worden. Diese Gleichung beschreibt – auch und gerade nach neuesten experimentiellen Überprüfungen an Gebäudeteilen – das Wechselspiel von Wärmedurchgang, Wärmespeicherung und Wärmeabgabe in speicherfähigen Materialien exakt. Heute ist es möglich diese „Differentialgleichung“ mit Hilfe von numerischen Programmen auf verschiedenste Wandaufbauten anzuwenden und so zu einer genauen Darstellung der sich zeitlich ändernden Temperaturverläufe in einer Wand zu kommen. Die so errechneten Werte stimmen vorzüglich mit den Messungen in Wandaufbauten überein, sodaß sich die Grundgesetze der Physik auch in diesem Fall als sehr zuverlässig erwiesen haben. Über längere Zeiträume „mittelt“ sich der Energiefluß der Wärmekapazität vollkommen aus der Energiebilanz heraus, weil ebensoviel Wärme eingespeichert werden muß, wie schließlich wieder verfügbar gemacht werden kann. Für eine Speicherung „zwischen den Jahreszeiten“ ist ein auch noch so massives Bauwerk jedoch ungeeignet: Bemühungen um Jahresspeicher für Solaranlagen zeigen den hierfür erforderlichen Aufwand an Masse (meist das weit besser speicherfähige Wasser) und vor allem die für die Vermeidung von Selbstentladung erforderlichen enormen Dämmlagen (50 cm und mehr hochwertiger Dämmstoff – auch in diesem Fall wird Speichern erst durch Dämmen wirksam!)

Abb. 1: Die Außenoberfläche im Modell: die Bedeutung der Wärmeabstrahlung

Abb. 1 zeigt das physikalische Modell für die Behandlung der Wärmeströme in Außenbauteilen unter sorgfältiger Berücksichtigung aller Absorptions- und Emissionsphänomene an den Oberflächen. Auch das Wärmespeichervermögen wird bei der numerischen instationären Berechnung einbezogen. Dieses Modell liegt bereits seit Mitte der achtziger Jahre den Simulationsrechnungen mit dem Programm DYNBIL zugrunde. Für eine korrekte Behandlung der Jahresenergiebilanz muß der langwellige Strahlungsaustausch berücksichtigt werden. Da die äquivalente Temperatur des Himmels regelmäßig deutlich niedriger ist als die Außenlufttemperatur, ergibt sich ein nennenswert erhöhter Wärmeverlust an der Außenoberfläche. Diese hat oft sogar eine niedrigere Temperatur als die Außenluft.

Abb. 1 Bei den Vorgängen an den Oberflächen von Bauteilen wird die Abgabe von Wärmestrahlung (langwellige Temperaturstrahlung) häufig vergessen. Sowohl an der Außenoberfläche als auch an der Innenoberfläche spielt diese aber eine wichtige Rolle: äußere Oberflächen können sich durch Abstrahlung häufig bis unter die Temperatur der Umgebungsluft, manchmal sogar bis unter die Taupunkttemperatur auskühlen; letzteres ist durch Tauwasser- oder sogar Reifbildung leicht zu erkennen.

Abb. 2: Vergleich von Messung und Simulation bei der Außenwand des Passivhauses in Darmstadt-Kranichstein

Abb. 2 zeigt den Vergleich von Temperaturverläufen, die im Rahmen des Meßprogrammes beim Passivhaus Kranichstein aufgezeichnet wurden (Symbole) mit den Ergebnissen der Berechnung entsprechend dem Modell (schwarze Linien mit +-Symbol). Die Übereinstimmung zwischen Messung und Theorie ist so gut, daß Unterschiede erst bei hoher Auflösung erkennbar werden (Lupe); die Abweichungen liegen maximal bei +/-0,2 Kelvin.

Dämmen und Speichern - die Zusammenhänge sind leicht zu verstehen
Einige Beispiele mögen zeigen, wie sich jeder selbst von den richtigen Verhältnissen bei der Bedeutung von „Dämmung“ und „Speicherung“ überzeugen kann

Heißer Kaffee – Kalter Kaffee
Kaffee in einer ungedämmten Kanne (nur Speicherfähigkeit) ist in Bruchteilen einer Stunde kalt! Verwenden wir eine Kochkiste (Dämmung z.B. aus Stroh) oder – moderner – eine Thermoskanne, so ist der Wärmeverlust so gering, daß der Kaffee ohne Energiezufuhr über Stunden heiß bleibt.
Warm anziehen oder speichernd anziehen?

Wer käme bei kaltem Wetter auf die Idee, eine Ritterrüstung (hohe Speicherfähigkeit) anzuziehen, um warm zu bleiben? Bewährt haben sich seit Jahrhunderten gut wärmedämmende Kleidungsstücke aus Wolle, Fellen oder eingeschlossenen Luftschichten. Sie verhindern wirksam eine Auskühlung des Körpers.
Schlafen in der Badewanne?

Wasser hat eine sehr große Wärmespeicherfähigkeit. Wird einem warmen Vollbad jedoch nicht laufend neue Energie zugeführt (das kommt recht teuer!), so ist das Bad nach zwei, drei Stunden eher unangenehm kalt. In der kalten Jahreszeit ziehen wir es daher seit altersher vor, uns (gut dämmende) dicke Bettdecken über die Schlafstätte zu legen. In Kombination mit einer solchen guten Dämmung tut eine (im Vergleich zum Vollbad kleine) Wärmflasche gute Dienste: Die Energie für den Speicher muß allerdings auch hier bezahlt werden (Warmwasser).

Besonders wirksam sind allseits gedämmte Schlafsäcke, welche sich sogar bei extremsten Außentemperaturen bewährt haben – jeder Campingfreund und Bergsteiger kann das bestätigen.

Sind massive Bauten „wärmer“?
Eine solche Behauptung widerspricht jeder Erfahrung all der Menschen, die wirklich in sehr schweren Gebäuden einen Winter und ein Frühjahr verbracht haben. Bestes Beispiel sind alte Burgen und Schlösser: mit Wandstärken von 80 cm und mehr haben diese Gebäude eine hohe Wärmespeicherfähigkeit. Dies macht sich z.B. im Sommer, wenn es auf den Ausgleich des Tag/Nacht-Unterschiedes ankommt, positiv durch kühlende Wirkung bemerkbar. Im Winter jedoch ist es tags wie nachts kalt – entsprechend kalt die Mitteltemperatur der massiven Speicherwände. Alte Burgen konnten und können kaum vernünftig geheizt werden – die Energierechnung ist extrem hoch, die trotz ihrer Dicke schlecht dämmenden Wände bleiben bei allem Aufwand kalt. Feuchte Wände, Schimmelbildung und ungesundes Raumklima sind nicht selten. Eine Nachtabsenkung ist vollends unwirksam. Eine von außen gut wärmegedämmte „Burg“ könnte jedoch die Speichereigenschaften der großen Masse wirksam werden lassen.

Besuchen Sie ein Passivhaus!
Daß eine gute Dämmung enorm zur Energieeinsparung beiträgt und darüberhinaus das Raumklima im Winter und im Sommer positiv beeinflußt, kann man am besten in einem Passivhaus erfahren. Diese Gebäude haben sehr gut wärmegedämmte Außenbauteile, deren Dämmstoffdicken meist über 25 cm liegen. Am eindrucksvollsten ist der Besuch eines solchen Hauses in einer strengen Frostperiode: Während es draußen schmerzhaft kalt ist, herrschen innen wohlig warme Temperaturen - obwohl eine Glühlampe zum Heizen ausreicht. Viel wichtiger ist aber, daß nicht nur die Raumtemperaturen angenehm hoch sind: Nein, auch die Oberflächentemperaturen der gut gedämmten Außenbauteile sind ungefähr genauso hoch wie die Raumlufttemperatur. Dadurch entsteht selbst in unmittelbarer Nähe einer Außenwand ein angenehmes Strahlungsklima. Durch die hohen Temperaturen in der tragenden Wandkonstruktion wird Tauwasserbildung zuverlässig vermieden: Passivhaus-Wände strahlen nicht nur Behaglichkeit aus und sind nicht nur energiesparend, sondern sie erhöhen auch die Dauerhaftigkeit des Baukörpers durch konstruktiven Feuchteschutz.

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